Ich gestehe
Sprungbrettern abschnellen lassen, die im fliegenden Wagen Saltos drehen, die ihr Fahrzeug durch brennende Reifen und Tore jagen und mit 100 km Geschwindigkeit aufeinander losrasen und zusammenprallen. Ritterspiele des 20. Jahrhunderts, moderne Gladiatoren vor einer schreienden Masse Mensch. Es war, als ob zwischen den zirzensischen Spielen Roms und dem Hippodrome de Longchamp keine 2.000 Jahre liegen würden. Das weite Rund des Rennplatzes glich einem Hexenkessel. Man schloß Wetten ab, welcher Wagen zuerst zerstört würde, welcher Fahrer gleich auf einer Bahre weggetragen werden würde, wer beim Sprung durch das Feuertor in Flammen aufgehen könnte.
Ich sah zum erstenmal solche sinnlosen und doch verwegenen Spiele und klammerte mich ängstlich an Gaston fest, als ein großer, weißer Wagen mit der Nummer 13 hoch in die Luft geschleudert wurde und mit dem Dach nach unten wieder auf den Rasen knallte. Unter dem frenetischen Beifall der Menge kroch der Fahrer in einer weißen Rennfahrerkluft und einem weißen Sturzhelm unverletzt unter dem Wagen hervor und verbeugte sich nach allen Seiten.
»Schrecklich«, sagte ich zu Gaston und drückte mich an ihn. »Laß uns fortgehen. Das ist ja Selbstmord!«
Gaston nickte und wies mit dem Kinn auf den Fahrer mit dem weißen Sturzhelm. »Das ist Jeróme Senlis, ein ehemals sehr bekannter Rennfahrer von Maserati. Er stand kurz vor der Automobilweltmeisterschaft, als er einen Unfall hatte – auf der Bahn von Monza – und sich einen Oberschenkelhalsbruch und Quetschungen der Wirbelsäule zuzog. Der Traum vom Rennfahrer war damit ausgeträumt, der Sportarzt gab ihm keine Starterlaubnis mehr. Da ging er zu der Todesfahrer-Truppe und ist seitdem die Attraktion der Vorführung. Er wird nachher von einem Sprungbrett zehn Meter durch die Luft und durch einen großen Flammenreifen geschleudert werden. Es ist ein Spiel mit dem Tode, in des Wortes wahrer Bedeutung! Aber was tut man nicht alles, um Geld zu verdienen? Als Rennfahrer ist er unbrauchbar geworden.«
»Schrecklich! Wollen wir uns das auch noch ansehen?«
Gaston blickte auf seine goldene Armbanduhr. »Für das Hotel ist es noch zu früh, mein Liebes«, sagte er mir leise ins Ohr. Ich schauerte unter der Berührung seiner Lippen zusammen und nickte.
»Wir könnten durch den Bois gehen, Gaston.«
»Dort werden wir garantiert gesehen, aber hier, in der johlenden Masse – hier gehen wir unter.«
Er hatte recht, wie er immer recht hatte. Was er dachte, was er tat, was er sagte, immer war alles logisch, unwiderlegbar, festgefügt und damit widerspruchslos.
In diesem Augenblick geschah etwas Merkwürdiges. Jeróme Senlis, der lächelnd aus dem Wagen geklettert war und sich für den Beifall bedankte, knickte plötzlich in den Beinen zusammen und fiel nach vornüber auf das Gesicht. Er lag im Rasen, ohne sich zu rühren, als habe er einen Schlag bekommen. Während die anderen Wagen weiterhin ihre Kunststücke zeigten, und die Zuschauer etwas betreten und abwartend auf die liegende weiße Gestalt blickten, hatte sich Gaston von mir gelöst und sich durch die Reihen der Stehenden gedrückt. Mit einem Sprung setzte er über den hölzernen Zaun, der die Rennbahn von den Zuschauern trennte und rannte in langen Sätzen auf Senlis zu. Fast gleichzeitig trafen vier Sanitäter und ein anderer Arzt bei dem Todesfahrer ein und beugten sich über ihn. Ich sah, wie Gaston mit dem anderen Arzt sprach, die Sanitäter hoben die weiße Gestalt auf und legten sie auf die mitgebrachte Bahre. Dann rannte Gaston zurück, dem großen Gebäude des Totalisators zu und winkte mir beim Laufen zu, nachzukommen.
Ein Wagen, der heulend eine Ziegelsteinmauer durchbrach, lenkte die Zuschauer ab. Ich kam, ohne viele Fragen zu beantworten, schnell zum Totalisator und sah dort Gaston schon an seinem Wagen stehen. Sein Gesicht war von Schweiß überzogen, die braunen Haare hingen ihm vor den Augen, sein Hemdkragen war aufgeweicht. Er zog mich in den Wagen und setzte sich schweratmend hinter das Steuer.
»Wir müssen zur Klinik, Liebes«, sagte er heiser.
»Senlis?«
»Ja. Er muß innere Blutungen bekommen haben. Vielleicht einen Lungenriß! Wenn er atmet, spuckt er blutigen Schaum. Er muß sofort operiert werden.«
Ich nickte. »Ade du Zimmer in Auteuil«, sagte ich leise.
Gaston legte den Arm um meine Schulter und zog mich an sich. »Wir haben noch den Sonntag vor uns, Liebes.« Seine Stimme war so zärtlich wie noch nie. »Es geht jetzt um ein
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