Ich gestehe
war wie ein wilder Sturm, wie ein Taifun, der über mich kam; er schien mich zu zerreißen, er war wie ein Kannibale, keine Stelle meines Körpers entging seiner Wildheit, er zerstörte mich in einem Rausch, der flammend und doch wunderbar war, der mich schreien und jammern ließ und von dem ich doch wünschte, daß er nie, nie aufhörte und mich völlig verbrennen möge.
Erst gegen Morgen lagen wir mit rasendem Puls und flatterndem Herzen nebeneinander. Ich hatte mich in seine Armbeuge gekuschelt und spielte mit den Locken auf seiner Brust. Der männlich-herbe Geruch seines Schweißes umgab mich wie ein Nachwehen unseres Vergessens.
Gaston rauchte in hastigen Zügen eine Zigarette. Ein Glas Beaujolais stand neben dem Bett auf dem weißlackierten Nachttisch.
»Vermißt du Auteuil?« fragte er leise in die stille Dunkelheit hinein.
»Nein.« Ich streichelte ihn. »Nicht mehr.«
»Aber du hättest es vermißt?«
»Sehr.«
»Warum eigentlich? Ist es Liebe, die uns zusammenführt? Ist es nur die Lust, zu leben … oder was ist es sonst?«
»Das fragst du mich? Du müßtest es wissen.«
»Ich? Warum?«
»Weil du doch immer so klug bist. Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, warum wir uns lieben. Ich habe es hingenommen wie ein Naturereignis, wie Regen und Wind, Sonne und Finsternis. Es mußte einfach so sein. Du und ich! Wir haben uns gefunden, und wir werden uns verlieren, ohne lange zu fragen.«
»Was redest du da für eine Dummheit?« Gaston drehte sich auf die Seite und sah mich böse an. »Warum sollen wir nicht heiraten?«
»Dazu kennen wir uns zuwenig.«
»Das stimmt.« Er nickte und drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Nachttisch aus. Danach trank er einen Schluck Beaujolais. »Willst du auch?« fragte er.
»Nein. Danke.«
Er stellte das Glas zurück und ließ sich wieder auf den Rücken fallen. »Sechs Uhr früh«, sagte er sinnend. »Jetzt messen sie auf den Stationen das Fieber. Um halb neun kommt Bocchanini. Laß uns noch eine Stunde schlafen.«
Er schloß die Augen, und ich sah voll Erstaunen, wie er nach wenigen Minuten ruhig durchatmete und tief schlief. Leise erhob ich mich, wusch mich, kleidete mich an und verließ dann auf Zehenspitzen das Zimmer.
Der Gang zu den Stationen war noch unbelebt, die Schwestern arbeiteten in den Zimmern. Ich atmete auf, während ich um die Wandecke durch die große Glastür auf die Gänge spähte. Unbemerkt konnte ich durch den Flur rennen und im Arztzimmer Gastons verschwinden. Wenn jetzt jemand kommen würde, konnte keiner auf den Gedanken verfallen, daß ich die Nacht bei Oberarzt Dr. Ralbais verbracht hatte. Ich saß an Gastons Tisch und las die Rapporte durch, die von den einzelnen Stationen und den Nachtwachen bereits vorlagen.
Dabei blätterte ich auch die Notizen durch, die verstreut zwischen Röntgenplatten und Krankheitsblättern auf dem Tisch lagen und stieß auf einen schmalen Zettel. Schwester Angèle hatte darauf geschrieben: »Sonnabend nachmittag, 16 Uhr, Vorsprechen eines Fräuleins Brigit Parnasse. Da Herr Oberarzt nicht anwesend waren und Fräulein Parnasse nur von Herrn Oberarzt untersucht werden wollte, verließ sie sofort wieder die Klinik.«
Ich starrte auf den kleinen Zettel, und ein eiskaltes, schüttelfrostartiges Gefühl durchzog mich. Brigit! Darum hatte sie sofort auf die angebliche Reise nach Toulon verzichtet, als sie erfuhr, daß Gaston nicht mitfahren würde. Und sie war, kaum, daß ich aus dem Hause war, zur Klinik gefahren, um als ›Patientin‹ Gaston zu sehen, zu sprechen und … und …
Brigit!
Ein Gefühl der Angst und des Bewußtseins der Gefahr bemächtigte sich meiner. Ich riß den kleinen Zettel an mich, nahm Gastons Tischfeuerzeug und ließ das Papier aufflammen. Die wenige, grauweiße Asche zerrieb ich zwischen den Handflächen und staubte sie dann in den Papierkorb.
Brigit mußte fort aus Paris. Das wußte ich jetzt. Sie durfte nicht länger in einer Stadt bleiben, in der Gaston und ich uns liebten. Früher oder später würde sie erfahren, wo ich die Abende über blieb, oder sie würde es mit allen Listen schaffen, mit Gaston allein zusammenzukommen. Ich dachte an ihre engen, ausgeschnittenen Pullover mit den festen, runden Brüsten darunter, an die engen, langen Hosen, das lockige Haar, die blutroten Lippen und ihre wundervolle Jugend, und ich wußte, daß sie nie, nie Gaston gegenübertreten durfte, sollte es nicht ein Familiendrama geben, das an die großen griechischen Tragödien
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