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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tisch. Bocchanini hielt das Skalpell bereits zwischen den gummibehandschuhten Fingern.
    »Herz?«
    »Normal.«
    »Temperatur?«
    »37,3.«
    Gaston stieß eine lange Nadel in die Bauchdecke der jungen Frau. Sie zeigte keinerlei Reaktion. »Narkose gut«, sagte Gaston und nickte mir anerkennend zu. »Wir können beginnen.«
    Prof. Bocchanini trennte mit einem langen Schnitt, vom Nabel bis fast zur Vagina gehend, die Bauchdecke auf. Eine dünne Schicht gelbweißen Fettes quoll hervor, die Bocchanini ebenfalls durchschnitt. Das Bauchfell lag bloß. Gaston reichte die Klammern hin und zog den Schnitt auseinander.
    »Schere bitte.« Bocchanini streckte die Hand aus.
    Das Bauchfell wurde gespalten. Blut quoll aus der offenen Bauchhöhle hervor.
    »Tupfer! Und Sauger bitte.«
    Die Assistenten klammerten die Blutgefäße ab. Ein gewärmtes, steriles Tuch deckte die hervortretende Blase ab.
    Ich sah zur Seite und beugte mich über den Kopf der Patientin. Sie atmete ruhig, gleichmäßig. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Ich tupfte ihn ab und kontrollierte den Puls.
    »Puls leicht flatternd«, sagte ich.
    Bocchanini nickte. »Halten Sie Cardiazol bereit.«
    »Jawohl.«
    Es war heiß unter den großen, runden Operationslampen, die von der Decke brannten. Der Geruch von Blut, Jod, Eiter und Schweiß durchzog den Raum, klebte an den Kleidern, im Gaumen, schmeckte man auf der Zunge.
    Ich hockte am Kopf der Frau und blickte nicht mehr auf das Operationsfeld. Ich konnte es nicht sehen, aber ich hörte, wie Gaston laut sagte: »Verdammte Schweinerei! Die Metastasen sind inoperabel!«
    Inoperabel. Das Todesurteil des Krebses!
    Ich beugte mich über das schöne, schlafende, gelöste Gesicht der Frau und streichelte es. Noch zwei Jahre, dachte ich. Nur noch höchstens zwei Jahre. Dann wird diese schöne Hülle, diese strahlend junge Hülle zerfallen sein, ausgezehrt, mager, bleich, vergehend.
    Mein Gott, was ist der Mensch? Wie kurz ist sein Leben. Soll man nicht jede Stunde genießen? Jede Minute des Tages, die unwiederbringbar verloren ist, wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt? Jede Minute ist kostbar im Leben, denn nur Minuten sind es, die wir im Leben wirklich glücklich sind. Nur Minuten …
    Die Stimme Gastons schreckte mich auf.
    »Puls?« fragte er.
    »55«, sagte ich.
    »Cardiazol!«
    Ich setzte die Nadel ein und drückte die wasserhelle Flüssigkeit in die Vene.
    »Puls 65«, sagte ich nach einer Weile.
    »Puls halten.«
    Gaston beugte sich wieder über die riesige Operationswunde. Blutige Fleischstücke klatschten in einen Emailleeimer, der neben dem Tisch stand. Eine längliche, schwabbelnde, blutverschmierte Masse. Der Uterus.
    Ich sah wieder zur Seite. Mir wurde übel.
    Und endlos, endlos langsam verging die Zeit.
    Am Wochenende beschlossen wir, nach Auteuil hinaus zu fahren.
    Auteuil ist eine der vornehmsten Gegenden von Paris. Sie liegt nahe dem Bois de Boulogne und der bekannten Rennbahn von Longchamp. Ein Sonntag auf dem Champ de Courses oder entlang am Lac Supérieur und Lac Inférieur bedeutet eine interne Modenschau der neuesten Dior- und Yves-St.-Laurent-Modelle. Die Hochfinanz der Seinestadt trifft sich hier zu einem Stelldichein. Hier ist man ›unter sich‹, hier regiert der graue Cut und der graue Zylinder von Longchamp genau so souverän wie der Federhut der Marquise und das gewagte Kleid des Starmannequins Bébé.
    In Auteuil, in der Rue de Ranelagh, kannte Gaston ein kleines, intimes Hotel, in dem er ein Zimmer bestellt hatte. Er hatte mich vorher nicht gefragt, ob es mir recht sei, er war einfach zu mir ins Zimmer gekommen, zwischen zwei Visiten, und hatte gesagt: »Am Sonntag werden wir in Auteuil schlafen. Das Zimmer ist reserviert.«
    »Auteuil ist Paris, Gaston«, wagte ich zu bedenken. An eine Abwehr dachte ich gar nicht, so selbstverständlich war es für mich, daß wir den Sonntag gemeinsam verbrachten und uns auch nicht in der Nacht trennen würden. »Man könnte uns erkennen, Bekannte treffen …«
    »Am Tage, aber nicht in der Dunkelheit auf der Rue de Ranelagh! Wer in Auteuil verkehrt, sitzt am Abend entweder in Longchamp beim Champagner oder in der ›Picanderie‹ am Palais de Trocadéro.«
    Seine Argumentation war einleuchtend, zudem hatte er das Zimmer ja bereits bestellt, was bewies, daß er sich von dem Gedanken, nach Auteuil zu fahren, nicht mehr abbringen ließ.
    Eine Schwierigkeit allerdings tauchte auf, an die ich vorher nicht gedacht hatte und die es zu überwinden galt, wenn

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