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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Menschenleben.«
    Ich nickte wieder. »Unser Beruf«, sagte ich, schwach lächelnd. »Wie sagte unser Professor: ›Der Arzt steht immer an der vordersten Front.‹ Er ist der ewige Soldat!«
    Während mit heulenden Sirenen der Krankenwagen an uns vorbeiraste, fuhren auch wir auf dem kürzesten Weg zur Klinik und kamen vor der Aufnahme an, als die Bahre mit dem ohnmächtigen Senlis ausgeladen wurde. Ein junger Assistenzarzt begleitete den Verletzten zum OP, während Gaston und ich uns umzogen und in den Vorbereitungsraum gingen. Die OP-Schwester hatte bereits das Nötigste vorbereitet, ein Pfleger wusch Senlis, den man ausgezogen hatte und der nun nackt auf dem Tisch lag. Auf seiner Brust sammelte sich der blutige Schaum, den er ausatmete.
    »Hast du Ahnung in der Thoraxanästhesie?« fragte mich Gaston, während wir die Hände und Arme schrubbten.
    Ich nickte bejahend. Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Ich sah hinüber auf den schönen, schlanken, nackten Körper des Rennfahrers. Sein Leib war muskulös, die Schultern breit, die Oberschenkel eine Ansammlung von Muskeln, die sich durch die Haut drückten. Beim Anblick seiner Nacktheit dachte ich einen Augenblick wieder an den verlorenen Abend mit Gaston und an seinen Körper, wenn er neben mir lag, ermattet nach einem Rausch, der uns fast irrsinnig machte, leicht überzogen mit Schweiß, unter der Haut noch zitternd vor abklingender, kaum gebändigter Lust. Dann hatte ich manchmal den tierischen Drang, in diesen braunen, herrlichen Körper hineinzubeißen, mich wie ein Vampir an ihm festzusaugen und ihn nicht wieder herzugeben.
    »Puls?« rief Gaston zur OP-Schwester hinüber, die neben Senlis stand. Sein Ruf schreckte mich aus meinen wollüstigen Gedanken auf. Ich beugte mich über das Waschbecken und spülte die Seife von den Armen und Händen. Ich schämte mich meiner Gedanken in diesem Augenblick, wo Gaston und ich um ein Leben ringen mußten.
    »Kaum tastbar, fast pulslos.«
    »Pneumonektomie. Bauchlage, seitlich kippen.«
    Jeróme Senlis wurde auf dem schmalen OP-Tisch festgeschnallt. Gaston ließ sich bereits die Handschuhe überziehen, während ich noch immer die Hände zum Trocknen über die sterile Heißluftanlage hielt.
    »Fertig, Dr. Parnasse?« rief Gaston.
    Dr. Parnasse! Das war ich! Dr. Gisèle Parnasse!
    »Ja«, antwortete ich. »Ich beginne sofort mit der Druckausgleichnarkose.«
    Was dann folgte, waren zwei Stunden eines Kampfes, den ich nie mehr erleben möchte. Senlis hatte sich bei dem Autosturz wirklich einen totalen Lungenriß zugezogen, und Gaston resektierte die zerstörte Lunge und versuchte, im Pleuraraum soviel wie möglich zu reinigen, um einer Pleuritis oder einem Empyem vorzubeugen, die wiederum eine Öffnung der Pleurahöhle nach sich ziehen würde.
    Die Operation war schrecklich. Sie war nicht dramatisch, wie man so gerne sagt und wie es viele Schriftsteller beschreiben. Sie war einfach schrecklich. Die große Wunde, die Lungenlappen und das Blut, der Kampf um den Puls und das Herz, das durch dauernde Transfusionen zum Schlagen gezwungen wurde, die immer wieder sich ändernde, diffizile Anästhesie. Alles war so furchtbar, daß ich sitzen blieb, steif, wie gelähmt, wie hypnotisiert, als die Operation endlich vorüber war und Senlis in sein kleines, von den anderen Räumen abgelegenes Zimmer gerollt wurde, in das berühmte kleine Zimmer, das jedes Krankenhaus besitzt und aus dem kaum ein Kranker wieder lebend herausgekommen ist. Ich war nicht mehr fähig, mich zu erheben, die nervliche Belastung drückte mich nieder. Erst als Gaston zu mir trat und mich an die Schulter faßte, schaute ich auf.
    »Müde, Dr. Parnasse?« fragte er.
    »Total zerschlagen, Herr Oberarzt«, sagte ich. »Ich kann einfach nicht mehr.«
    »Ich kenne diesen Zustand.« Er faßte mich unter und zog mich vom Stuhl empor. »Nach zwei Kognaks ist das wieder vorbei.« Und leise fügte er hinzu. »Und nach zwei Küssen.«
    Ich lächelte schwach. Küssen, dachte ich. Selbst das könnte ich jetzt nicht mehr. Ich bin am Ende …
    Aber der Mensch ist ein Titan, wenn er liebt!
    Die Nacht verbrachten wir nicht in dem kleinen Hotel in der Rue du Ranelagh bei Auteuil, sondern wieder im Zimmer Gastons, und es war eine Nacht, die mich vergessen ließ, daß wir am Mittag ausgezogen waren, um in einer Verschwiegenheit, in einer kleinen, nur uns gehörenden Welt glücklich zu sein. Es war, als ob die Anstrengung der Operation in Gaston die letzten Kräfte freigelegt hätte. Er

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