Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Haftpflichtversicherung uns auch eine Ersatzunterkunft zahlen?«, fragte ich.
»Natürlich«, sagte der Anwalt. »Wenn das Haus aufgrund des Schadens unbewohnbar geworden ist, steht Ihnen ein angemessener Ersatz zu.«
»Und was heißt angemessen?«, wollte ich wissen.
»Angemessen bedeutet: ein Haus in vergleichbarer Größe, Lage und Ausstattung wie das Ihre«, sagte der Anwalt.
Leider, sagte ich, gebe es in der Nachbarschaft gerade keinen leer stehenden, vergleichbaren Neubau, der wochenweise an Familien mit Hund vermietet werde. Ob wir auch in eine Ferienwohnung oder ein Hotel außerhalb von Hamburg ziehen dürften? Ja, wir durften.
Nachdem ich die Tür zugeschlagen, das Hausverbot erteilt und den Anwalt engagiert hatte, hatte ich mich erstmals seit Tagen etwas besser gefühlt – nicht mehr völlig hilflos und ausgeliefert. Schluss mit Heulen, hatte ich gedacht: Auf in den Kampf!
Danach war ich zu meiner ältesten Schwester gefahren, um mich dort an den Schreibtisch zu setzen und im Internet nach einer Unterkunft in der Nähe von Hamburg zu suchen. Unser Internet funktionierte noch nicht. Ich wollte so schnell wie möglich mit den Kindern und dem Hund flüchten. Mein Mann könnte nachkommen, sobald sein Urlaub begann.
Sich am zweiten Hamburger Sommerferientag auf die Suche nach einer Ferienwohnung oder Hotelzimmern in Norddeutschland zu machen, in denen zwei Wochen am Stück Platz ist für vier Erwachsene und einen Hund, ist kein sehr aussichtsreiches Unterfangen. Noch zu haben waren Unterkünfte, die sich kein normaler Mensch leisten kann: Acht-Zimmer-Luxus-Reetdachhäuser mit Sauna und Pool auf Sylt für fünftausend Euro pro Woche. Oder, am anderen Ende der Preisskala, Unterkünfte, in denen kein normaler Mensch seinen Urlaub verbringen möchte: Siebenunddreißig-Quadratmeter-Ferienwohnungen mit dunkelbraunem Teppich und Cordschlafcouch im Wohnzimmer im achten Stock eines Siebzigerjahre-Appartementhochhauses im Harz.
All meinen – kurz zuvor gefassten – guten Vorsätzen zum Trotz endete die Suche im Internet mit der dritten Heulattacke des Tages, der ich mich auf dem Sofa meiner Schwester sitzend hingab: »Es gibt einfach nichts, wo wir hinkönnen«, heulte ich. »Und selbst wenn es irgendwo noch etwas gäbe: Eigentlich will ich ja gar nicht weg. Was soll ich denn alleine mit den Kindern in irgendeiner Scheißferienwohnung in der niedersächsischen Tiefebene, die langweilen sich da doch zu Tode, und dann muss ich da auch den ganzen Tag weinen. Ich brauche etwas, wo die Kinder, die Armen, gerne sind und sich auch mal einen halben Tag allein beschäftigen können, und dann muss es dort auch noch einen Internetzugang geben, ich habe doch gar keinen Urlaub, ich muss bis Ende nächster Woche noch zwei Kolumnen schreiben. Ich weiß nicht mehr weiter.«
»Notfalls«, bot meine Schwester an, »könnt ihr ja bei uns wohnen.«
Ich bin selbst Mutter. Ich weiß, wie der Familienalltag in den Ferien aussieht. Ich konnte mir vorstellen, wie scharf meine Schwester, ihr Mann und ihre Kinder darauf waren, für zwei oder gar drei Wochen zu acht plus Hund unter einem Dach leben zu müssen.
»Das ist ganz lieb von dir«, schluchzte ich. »Danke. Ich überlege noch mal, vielleicht fällt mir doch noch eine andere Lösung ein. Mal was anderes: Kannst du uns vielleicht helfen, morgen Nachmittag den Keller in der alten Wohnung auszuräumen, das Zeug muss in das Lager, das ich angemietet habe, wir haben ja noch keinen Schuppen, und dein Auto ist so schön groß.«
»Aber klar, mach ich«, sagte meine große Schwester.
Wieder zu Hause fiel mir ein, dass es einen einzigen Ort mit Internetzugang und Hundeerlaubnis gab, an dem ich fast so gerne wäre wie zu Hause und auf den sich auch die Kinder riesig freuen würden. Schon lange verlangten sie regelmäßig: »Da wollen wir mal wieder hin!«, woraufhin wir gebetsmühlenartig zu antworten pflegten: »Zu teuer.«
Vor Jahren hatten wir ein paar Tage in einem kleinen Viersternehotel auf dem Ritten in Südtirol verbracht. Zum Hotel gehören ein Wellnessbereich mit Schwimmbad und Sauna, ein Bergsee mit Liegewiese und Tretboot und eine Halbpension mit köstlichem Frühstücksbuffet und allabendlichem Vier-Gänge-Menü. Den Aufenthalt dort hatten wir uns nur deshalb leisten können, weil wir uns in der Nebensaison zu viert in eines der großen Hotelzimmer gequetscht hatten. Je gründlicher ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich, dass dieses Hotel der einzig
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