Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
angemessene Ersatz für unser nagelneues, aber unbewohnbares Traumhaus wäre. Vielleicht könnte ich dem Wasserschaden sogar noch etwas Gutes abgewinnen, wenn er unserer Familie zu einem unverhofften, von einem Versicherungskonzern finan zierten Traumurlaub verhelfen würde – und zwar in zwei Doppelzimmern. Ich baue doch kein Haus mit zwei Kinderzimmern, eigenem Kinderflur und Kinderbad, um dann in einem Raum mit meinem dreizehnjährigen Sohn zu schlafen, dachte ich. Ich rief in dem Hotel an und hatte Glück: Ab dem kommenden Wochenende gab es noch zwei freie Doppelzimmer, die wir für immerhin zwölf Tage beziehen könnten. Ich rief den Anwalt an, nannte ihm den sehr stolzen, geradezu hochmütigen Preis dieser Ersatzunterkunft und fragte, ob die Versicherung eine solche Summe erstatten würde.
»Das kann ich nicht garantieren«, sagte der Anwalt. »Einen Großteil wird die Versicherung sicher übernehmen, aber man kann sich natürlich darüber streiten, ob es unbedingt ein Viersternehotel sein muss. Und die Frage ist, ob Sie Lust haben, sich darüber vor Gericht zu streiten.«
»Aber unser Haus ist viel schöner als jedes Achtsternehotel!«, rief ich.
»Wissen Sie was?«, sagte der Anwalt. »Freuen Sie sich, dass Sie so kurzfristig etwas Schönes gefunden haben, fahren Sie dorthin, erholen Sie sich, denn das haben Sie offensichtlich bitter nötig, so mein Eindruck. Ich denke, das ist das einzig Richtige, was Sie in dieser Situation tun können – selbst wenn Sie am Ende auf einem Teil der Kosten sitzen bleiben.«
Ich buchte die Hotelzimmer. Mein Mann, meine Schwester und ich räumten den Keller leer. Handwerker und Sachverständige pilgerten durch unser Haus, um die Folgen des Wasserschadens zu begutachten. Ich räumte das schwarze Bücherregal ein. Unsere Tochter zog für zwei Tage zu ihrer Freundin Paula, Paulas Eltern konnten nachfühlen, wie es uns ging, und nahmen sie auf. Mein Mann übergab die alte Wohnung an die Vermieter.
Ich ging nicht mit. Ich war zu schwach. Die Vermieter hätten mich nur einmal böse anschauen müssen, und ich hätte mich vor ihren bösen Augen in Wasser aufgelöst.
»Wie war’s?«, fragte ich meinen Mann, als er wieder da war.
»Es war gut, dass du nicht dabei warst«, sagte mein Mann. »Begeistert waren sie nicht gerade. Aber sie haben uns trotzdem gleich die ganze Kaution wiedergegeben.«
»Wie nett von ihnen«, sagte ich. »Und wie angenehm, dass es auch schöne Überraschungen gibt.«
Ich raffte mich auf und packte Sachen. Die Wanderschuhe und die Badesachen fand ich nach langem Suchen in einem Umzugskarton. Am Samstagmorgen, acht Tage nach dem Umzug, packte ich die Kinder und den Hund ins Auto und fuhr los, mein Mann stand in der Sandkiste und winkte uns hinterher. Er würde uns eine Woche später mit dem Zug nachreisen. Als wir am Sonntagmittag über den Brenner Richtung Italien fuhren, wusste ich: Jetzt bin ich über den Berg.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 70.838,10 €
12 Tage Hotel, nicht erstatteter Anteil 1.873,00 €
Zwischensumme 72.711,10 €
Handwerkerbetreuung
Als wir aus dem unfreiwilligen, dennoch herrlichen Urlaub zurückkehren, sind die Trockengeräte abgebaut. Katja hat erste Zeitpläne zur Sanierung des Hauses entworfen: Das komplette Linoleum im Erdgeschoss muss ausgetauscht werden. Die Sanierungsarbeiten werden von ihr koordiniert und beaufsichtigt. Dieser Arbeitsaufwand ist nicht in dem mit uns vereinbarten Architektenhonorar für den Entwurf und Neubau eines Einfamilienhauses enthalten, er wird wie das Anwaltshonorar von der Haftpflichtversicherung bezahlt.
Die Kinder fahren ins Zeltlager. Ich putze das Haus, ich packe die letzten Kartons aus, wir pflanzen Kirschlorbeer in die großen Kübel auf der Brüstung unseres Balkons, ich kaufe Blumen und stelle sie in einer Vase auf den Tisch, wir laden Freunde ein und feiern meinen Geburtstag. Ich werde richtig krank. Ich fange an, in unserem Haus zu leben. Es ist, als würde ich mich nach einem völlig verkorksten Beziehungsanfang ein zweites Mal verlieben. Ich denke: Immerhin ist niemand gestorben.
Die Löcher im Boden, die fehlenden Stücke im Linoleum, die fehlenden Fußbodenleisten, ich nehme sie bald kaum noch wahr.
Was ich weder zu übersehen noch zu überhören vermag, sind die Handwerker. Nach unserer Rückkehr kommt irgend jemand und dichtet den Fundamentsockel ab. Der Elektriker kommt und installiert die Türklingel und die Außenleuchten. Der Maler kommt und streicht das
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