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Ich greife an

Ich greife an

Titel: Ich greife an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Koshedub
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die Arbeit in der Produktion, auf der Baustelle. Und gerade das wollte ich ja. Auch Vater bestärkte mich in meiner Absicht: „Tritt in das Technikum ein. Erlerne ein Handwerk, und du kommst nicht mehr los von der Fabrik!" Meine Wahl fiel auf das Technikum, in das ich im Herbst 1936 aufgenommen wurde.
KUMMER
    Bereits in den ersten Tagen des Studiums am Technikum erkannte ich, daß ich viel und hartnäckig lernen müßte, um den gestellten Anforderungen zu genügen. Durch den Schul- und Heimweg ging mir viel kostbare Zeit verloren, und ich zog es daher vor, in das Studentenheim überzusiedeln. Vater war sofort einverstanden, aber Mutter weinte, als ich mit einem Quersack das Haus verließ.
    „Was hast du denn, Mütterchen, ich fahre doch nicht nach Leningrad? Wenn wir Ausgangstag haben, werde ich nach Hause kommen!" Mir kam es aber doch vor, als fahre ich sehr weit fort. Die Mutter sah mir in gebeugter Haltung nach. Ich drehte mich ein paarmal um und winkte.
    Die erste Woche verflog rasch. Am Ausgangstag eilte ich gleich nach dem Unterricht ins Heimatdorf. Ich sehnte mich nach meiner Mutter und machte mir Sorge um sie, denn in der letzten Zeit kränkelte sie immer häufiger. Der Weg von sieben Kilometern schien mir endlos. Vor der Tür erwartete mich Vater: „Iwan, es steht schlecht mit Mutter. Wir müssen sie überreden, ins Krankenhaus zu fahren."
    Ich stürzte in das Haus. Die Mutter lag. Ich setzte mich neben sie und sprach auf sie ein, sich doch im Krankenhaus behandeln zu lassen. Sie wollte nichts davon hören. „Ich habe mich mein ganzes Leben lang geplagt und sterbe doch bald, also brauche ich nicht erst aus dem Hause zu gehen!"
    Ihre Halsstarrigkeit war mir unverständlich. Nichts half, weder Zureden noch Bitten.
    Am nächsten Tag fühlte sie sich wieder wohler. Da sie wußte, daß ich den Unterricht nicht gern versäumte, sagte sie am frühen Abend zu mir: „Geh, mein Söhnchen, bevor es dunkel wird. Ich werde schon wieder auf die Beine kommen."
    Spät am Abend verließ ich das Vaterhaus. - Im Studentenheim saß ich lange über meinen Büchern, konnte mich aber einfach nicht konzentrieren. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich Mutter nicht veranlaßt hatte, ins Krankenhaus zu fahren.
    Am Morgen weckte mich mein Bruder Jascha. Ich sprang auf und konnte nicht begreifen, warum er da war. Ich sah in sein Gesicht und erblickte Tränen. Mit einem Schlag begriff ich.
    „Mutter?"
    Er nickte mit dem Kopf.
    Ich weiß heute nicht mehr, wie ich nach Hause kam. Das Zimmer war voll Menschen; Weinen und Jammern war zu hören. Der Vater hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, seine Schultern zuckten. Ich lief in den Keller, warf mich auf die Erde und lag wie erstarrt, ohne Tränen. - Gleich nach der Beerdigung kehrte ich nach Schostka zurück. Mehrere Wochen ging ich nicht in das Dorf. Das Haus war für mich leer und öde geworden, obgleich dort der Vater, die Schwester und die Brüder wohnten.
IM STUDENTENWOHNHEIM
    Ich saß den ganzen Tag über, vor den Zwischenprüfungen auch nächtelang, über meinen Büchern. Für den Sport blieb wenig Zeit, trotzdem trainierte ich täglich am Reck und im Gewichtheben.
    Man hatte mich in die Fußballmannschaft aufgenommen, und an trockenen Herbsttagen jagten wir nach den Vorlesungen den Ball über die kleine Wiese hinter dem Technikum.
    Ich wohnte mit drei anderen Studenten in einem Zimmer. Sie waren älter als ich, wir studierten in einem Semester. Es waren gute, kameradschaftliche Burschen; sie waren Komsomolzen und ausgezeichnete Schüler.
    Besonders gefiel mir Tichon, unser Zimmerältester, den ich in vielem nachahmte. Er war erstaunlich arbeitsam und konnte lernen, auch wenn wir einmal Lärm machten. Er stützte sich dann mit den Ellenbogen auf den Tisch, preßte die Hände an die Ohren und vertiefte sich in die Lektüre. Dabei trank er gewaltige Mengen Tee. Die Jungen achteten ihn, neckten ihn aber auch gern.
    Abends saßen wir alle am großen Tisch und lernten. Zuweilen kamen Freunde aus den Nachbarzimmern und forderten uns auf, ins Kino mitzugehen. Ich sah Tichon an. Gewöhnlich las er weiter.
    „Ich gehe nicht mit", antwortete ich, „ich muß noch lernen."
    Alle wußten, wie konzentriert Tichon las. Ein beliebter Spaß der Studenten war es, ihm das Glas mit Tee vor der Nase wegzuziehen. Tichon begann dann, ohne den Blick von seinem Buche zu heben, mit der Hand auf dem Tisch herumzusuchen. „Wo ist das Glas hin? Stört ihr mich wieder beim Lernen?" Tichon sprang auf.

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