Ich hab dich im Gefühl
mit Untertasse für sich und einen Becher für mich aus dem Schrank holt.
»Was? Warum war er nicht da? Und das ausgerechnet, wenn du so eine tolle Geschichte zu erzählen hast? Das ist doch wohl eine Frechheit. Na ja, dann eben nächste Woche, was?«
Langsam wendet er sich mir wieder zu. »Er ist am Wochenende gestorben. Morgen ist die Beerdigung. Wir haben den ganzen Abend von ihm geredet, über ihn und seine Geschichten, die er hundertmal erzählt hat.«
»O Dad, das tut mir so leid.«
»Ah, na ja. Wenn er nicht am Wochenende gestorben wäre, wäre er wahrscheinlich tot umgefallen, sobald er gehört hätte, dass ich Michael Aspel persönlich getroffen habe. Vielleicht war es ganz gut so«, meint er und lächelt traurig. »Er war kein schlechter Mensch. Wir haben gern zusammen gelacht, auch wenn wir oft gegeneinander gestichelt haben.«
Es tut mir leid für Dad. Natürlich ist unsere Reise trivial im Vergleich zum Tod eines Freundes, aber er hat sich so darauf gefreut, endlich mal seinen großen Rivalen ausstechen zu können.
Eine Weile sitzen wir schweigend am Tisch.
»Den Rosenstrauch behältst du aber, oder?«, fragt Dad schließlich.
Ich weiß sofort, wovon er spricht. »Natürlich behalte ich den. Ich dachte, er würde sich in deinem Garten gut machen.«
Nachdenklich blickt er aus dem Fenster und mustert seinen Garten. Wahrscheinlich überlegt er schon, wo der Strauch am besten aussehen würde.
»Aber du musst vorsichtig sein. Veränderungen können manchmal einen Schock hervorrufen und dadurch auch viel kaputtmachen.«
»Das klingt ein bisschen dramatisch«, entgegne ich mit einem traurigen Lächeln. »Ich denke, es wird alles werden, Dad. Aber danke, dass du dir Gedanken machst.«
Ohne mich anzusehen, erwidert er trocken: »Ich hab von den Rosen gesprochen.«
In diesem Moment fängt mein Handy an zu klingeln, rutscht vibrierend über den Küchentisch und fällt um ein Haar herunter. »Hallo?«
»Joyce, hier ist Thomas. Ich hab Ihren jungen Mann grade am Flughafen abgesetzt.«
»Oh, danke sehr. Hat er den Umschlag bekommen?«
»Äh, ja. Das heißt, ich hab ihn ihm gegeben, aber grade hab ich auf den Rücksitz geschaut, und da lag er immer noch.«
»Was?« Ich springe von meinem Küchenstuhl auf. »Fahren Sie zurück! Drehen Sie um! Sie müssen ihm den Brief geben. Er hat ihn bestimmt nur vergessen!«
»Na ja, wissen Sie, das Ding ist, er schien mir nicht sicher zu sein, ob er ihn überhaupt öffnen wollte.«
»Was? Warum?«
»Das weiß ich auch nicht. Ich hab ihm den Brief gegeben, als er wieder ins Auto gestiegen ist, um zum Flughafen zu fahren, genau wie Sie gesagt haben. Er hat einen total niedergeschlagenen Eindruck gemacht, deshalb dachte ich, der Brief heitert ihn bestimmt ein bisschen auf.«
»Niedergeschlagen? Warum? Was war denn los mit ihm?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Joyce. Ich weiß nur, dass er ziemlich durcheinander war, als er eingestiegen ist, und ich ihm deshalb den Umschlag gegeben habe. Und dann saß er da und hat ihn angestarrt, und ich hab direkt nachgefragt, ob er ihn nicht aufmachen will, und da meinte er, vielleicht.«
»Vielleicht«, wiederhole ich. Habe ich etwas getan, was ihn aus der Fassung gebracht hat? Hat Kate womöglich irgendwas gesagt? »Er war durcheinander, als er aus der National Gallery gekommen ist?«
»Nein, nicht da. Unterwegs zum Flughafen haben wir noch bei dieser Blutspendepraxis in der D’Olier Street Station gemacht.«
»Wollte er Blut spenden?«
»Nein, er hat gesagt, er muss sich mit jemandem treffen.«
O mein Gott, vielleicht hat er rausgefunden, dass ich es bin, und jetzt hat er kein Interesse mehr.
»Thomas, wissen Sie, ob er den Brief geöffnet hat?«
»Hatten Sie ihn zugeklebt?«
»Nein.«
»Dann kann ich es leider nicht mit Sicherheit sagen. Ich hab nicht gesehen, dass er ihn aufgemacht hat. Tut mir leid. Soll ich den Brief auf dem Rückweg vom Flughafen bei Ihnen vorbeibringen?«
»Ja bitte, das wäre nett.«
Eine Stunde später öffne ich Thomas die Tür, und er gibt mir den Umschlag. Ich kann die Karten darin fühlen, und mein Herz wird schwer. Warum hat Justin den Umschlag nicht geöffnet und mitgenommen?
»Hier, Dad«, sage ich und schiebe den Umschlag über den Tisch. »Ein Geschenk für dich.«
»Was ist da drin?«
»Plätze in der ersten Reihe für die Oper nächstes Wochenende«, antworte ich traurig und stütze das Kinn in die Hand. »Eigentlich waren sie für jemand anderes gedacht, aber der will
Weitere Kostenlose Bücher