Ich hab dich im Gefühl
Enthüllungen über meine Ehe endlich begreift, sondern macht sich unverzüglich auf den Weg in die Küche. »Wie wär’s mit einem Tässchen Tee?«
Ich bleibe in der Diele, schaue mir weiter die Bilder an und atme den Geruch ein. Den Geruch, den Dad mit sich herumträgt, jeden Tag, wie eine Schnecke ihr Schneckenhaus. Früher dachte ich immer, es wäre der Duft von Mums Kochkünsten, der durch die Räume zog und in jede Faser eindrang, einschließlich der Tapeten, aber inzwischen ist Mum seit zehn Jahren tot, und der Geruch ist derselbe geblieben. Vielleicht steckt sie immer noch dahinter.
»Was schnüffelst du denn da an der Wand herum?«
Ich fahre erschrocken zusammen, weil er mich ertappt hat, und mache mich ein bisschen verlegen auf den Weg in die Küche. Sie hat sich nicht verändert seit der Zeit, als ich noch hier gewohnt habe, und ist noch genauso makellos, wie Mum sie hinterlassen hat – nichts wurde umgeräumt, nicht mal aus praktischen Erwägungen. Ich beobachte, wie Dad in aller Ruhe herumwerkelt, sich auf den rechten Fuß aufstützt, um an die unteren Schränke zu kommen, und dann die zusätzlichen Zentimeter seines linken Beins nutzt wie seine persönliche Trittleiter, um etwas von ganz oben herunterzuholen. Der Wasserkocher macht zu viel Lärm für ein Gespräch, und ich bin froh darüber, weil Dad den Griff so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortreten. In der linken Hand, die er in die Hüfte stemmt, hält er einen Teelöffel, und das erinnert mich daran, wie früher immer die Zigarette zwischen seinen nikotinverfärbten Fingern klemmte. Er blickt hinaus in den mustergültigen Garten, und ich sehe, wie sein Kiefer mahlt – Dad ist wütend. Sofort komme ich mir vor, als wäre ich wieder ein Teenager, der auf eine Strafpredigt wartet.
»Woran denkst du, Dad?«, frage ich schließlich, als der Kessel endlich aufhört zu brodeln wie das brechend volle Croke-Park-Stadion bei der Irland-Meisterschaft.
»An den Garten«, antwortet er, aber ich sehe, wie sich sein Kiefer wieder anspannt.
»Den Garten?«
»Die blöde Katze von nebenan pisst ständig auf die Rosen deiner Mutter.« Wütend schüttelt er den Kopf. »Flauschi heißt sie«, ruft er und wirft die Hände in die Luft, »
Flauschi
– was ist das denn überhaupt für ein Name? Wenn ich das Vieh mal in die Finger kriege, ist es garantiert kein Flauschi mehr. Dafür trage ich dann so eine schicke Pelzmütze wie die Russen und tanze Kasatschok vor Mrs Hendersons Gartentür, während sie ihren zitternden
Kahli
drinnen in eine warme Decke packt.«
»Darüber denkst du wirklich nach?«, frage ich ungläubig.
»Na ja … nicht wirklich, Liebes«, gesteht er und beruhigt sich etwas. »Außerdem noch über die Osterglocken. Bald ist Pflanzzeit für Narzissen. Ein paar Krokusse möchte ich auch. Muss mir dringend Zwiebeln besorgen.«
Gut zu wissen, dass es für meinen Vater nicht erste Priorität hat, wenn meine Ehe kaputtgeht. Und auch nicht zweite. Es steht wahrscheinlich irgendwo nach den Krokussen auf der Liste.
»Und Schneeglöckchen«, fügt er hinzu.
Es kommt selten vor, dass ich so früh am Tag in der Gegend bin. Normalerweise bin ich längst unterwegs, um irgendwelchen Kunden irgendwelche Immobilien in der Stadt zu zeigen. Jetzt, wo alle Leute bei der Arbeit sind, ist es so still, dass ich mich frage, was um alles in der Welt Dad eigentlich in dieser Stille tut.
»Was hast du gemacht, bevor ich gekommen bin?«
»Vor dreiunddreißig Jahren oder heute?«
»Heute«, antworte ich und verkneife mir ein Lächeln, weil ich weiß, dass er es ernst meint.
»Rätsel.« Er deutet mit einer Kopfbewegung zum Küchentisch, wo eine aufgeschlagene Rätselzeitschrift liegt. Etwa die Hälfte der Seite scheint bereits bearbeitet zu sein. »Bei Nummer sechs bin ich steckengeblieben. Schau mal.« Er bringt die Teetassen zum Tisch und schafft es, trotz seines wippenden Gangs nichts zu verschütten. Immer stabil.
»›Welche von Mozarts Opern wurde von einem besonders einflussreichen Kritiker schlecht aufgenommen, weil dieser meinte, sie hätte zu viele Noten?‹« Ich lese die Frage laut vor.
»Mozart«, sagt Dad achselzuckend. »Von dem Knaben hab ich überhaupt keine Ahnung.«
»Kaiser Joseph der Zweite«, sage ich.
»Was?« Dads Raupenaugenbrauen ziehen sich überrascht in die Höhe. »Woher weißt du das?«
Ich runzle die Stirn. »Muss ich wohl irgendwo mal gehört ha… riecht es hier nach Rauch?«
Dad setzt sich
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