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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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und Hinrichtungswelle unter dem neuen Regime. Eine Freundin von mir von der Universität, Ladan, wurde auch verhaftet und hingerichtet. Im Sommer 2007 traf ich eine Freundin ihrer Schwester, die heute in Kanada lebt, sie berichtete mir, was wir alle im Grunde wussten: Ladan wurde, wie alle Jungfrauen, vor ihrer Hinrichtung vergewaltigt. Nach islamischem Glauben kommen Jungfrauen direkt ins Paradies. Eine vor ihrem Tod vergewaltigte Frau aber kommt in die Hölle, denn sie hat unehelichen Sex gehabt. Ihre Vergewaltiger glaubten als Gotteskrieger, ihre Opfer direkt in die Hölle zu schicken.
    Als mein Mann ermordet wurde, bekam seine Familie die Wohnung, die ihm gehört hatte. Mir wurde ein Achtel des Geldwertes geschickt. Wie schon meine Mutter vor mir war ich als Witwe im islamischen Erbrecht benachteiligt. Die Freundin, die kurz nach meinem Mann verhaftet worden war, erzählte mir, dass sie seine Leiche gesehen hatte. Er lag mit den anderen Hingerichteten des Tages im Gefängnishof, über den sie geführt wurde. Der Hinrichtungen waren in diesen Tagen zu viele, als dass die Leichen so schnell abtransportiert werden konnten, wie neue Opfer starben. Der Säuberungswelle des neuen Regimes fielen Tausende zum Opfer, gehängt, erschossen. Anhänger des Schahs traf es ebenso wie Kommunisten und andere Oppositionelle, 1980 war das Jahr der Todesurteile wegen »Verbreitung des Lasters auf Erden und Widerstreit gegen Gott«.
    Nach der Hinrichtung meines Mannes hielt ich mich über ein Jahr in Teheran versteckt. Zunächst zog ich von einem Unterschlupf zum nächsten, nach ein paar Monaten konnte ich mit einem Mann eine geheime Wohnung mieten, und offiziell wohnten wir dort als Ehepaar. Damit wurde die Lage für mich etwas ruhiger, ich musste nicht mehr alle paar Tage zu den nächsten fremden Menschen umziehen. Zudem gefährdete ich ja auch immer die, die mir Unterschlupf gewährten. Oft waren das Familien. Einmal kam ich am späten Abend zu einer neuen Unterkunft. Ein Mann öffnete mir die Tür und hieß mich leise willkommen, da ging eine Tür auf, und ein kleines Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, kam im Pyjama mit verschlafenen Augen heraus. »Wer bist du?«, fragte sie mich. Bevor ich mir überlegt hatte, was ich antworten könne, scheuchte ihr Vater sie sachte zurück ins Bett. Schmerzhaft wurde mir klar, dass ich sogar das Leben dieses Kindes gefährdete, würde ich in dieser Nacht, in dieser Wohnung, verhaftet werden. Die Angst vor Entdeckung blieb, das Leben fühlte sich an, als hätte ich immer einen schweren Bleimantel an. Ich bekam Schlafstörungen und litt unter Panikattacken. Auf der einen Seite dachte ich immer wieder an Selbstmord, es schien der einzige Ausweg aus dieser schweren, endlosen Bedrückung. Dass immer wieder Menschen bereit waren, mich unter Risiko für ihr eigenes Leben zu verstecken, berührte mich sehr. Wir bestärkten uns dabei immer gegenseitig, dass das islamische Regime nicht lange an der Macht bleiben könne. Inwieweit wir uns das glaubten oder nur versuchten, uns gegenseitig Mut zu machen, um durchzuhalten, kann ich nicht sagen.
    Denn die Monate vergingen, und das Regime blieb nicht nur, sondern festigte seine Macht, eliminierte immer mehr Gegner. Ich besaß immer noch keine Dokumente, keine Papiere, und die Polizei kontrollierte immer mehr auf der Straße. Selbst Taxifahren war gefährlich, denn auch diese wurden zu Ausweiskontrollen angehalten. Ich wusste: Würde ich ohne Ausweispapiere erwischt, würde ich verhaftet, gefoltert und höchstwahrscheinlich auch hingerichtet werden. Wie so viele, die ich damals kannte. Auch mein letzter Mitbewohner, mit dem ich drei Monate in Teheran in einer Wohnung lebte, wurde ermordet. Nach meinem Weggang war seine Ehefrau zu ihm gezogen, vier Monate später wurde er verhaftet und hingerichtet. Sie konnte danach fliehen und lebt heute in Schweden. Jede Nacht hatten wir Angst, dass Polizisten unsere Wohnung stürmen könnten. Wir fühlten uns wie Kaninchen im Bau, die merken, wie draußen der Fuchs umherschleicht, und deshalb versuchen, ganz still zu sein, damit er sie nicht hört. Doch sie spüren, wie ihr Angstschweiß rinnt und droht, sie zu verraten. Ein Entrinnen schien es nur im Tod zu geben, dem selbst gesetzten Tod als Alternative zum Foltertod. Es war wie die Sehnsucht, die Augen schließen zu dürfen, wenn man sich vor Müdigkeit kaum noch wach halten kann, aber dazu gezwungen wird. Es war die tiefste Erschöpfung, die ich jemals gespürt habe,

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