Ich habe abgeschworen
Ärztin im Iran, und sie muss mit Kopftuch und weiter Kleidung operieren, das ist absurd und kann sogar gefährlich werden, da das weite Gewand ungelenk macht. Sie darf zwar mit Männern arbeiten, aber es ist verboten, dass Männer und Frauen gemeinsam lachen! In all diese verqueren Vorschriften des Miteinanders passt auch der Zwang zur Kopfbedeckung. Das Kopftuch deckelt Frauen im wahrsten Sinne des Wortes, unter dem Schleier ist ihr Platz, nicht frei in der Welt.
Hatte ich am Ende meiner Schulzeit noch entschieden, vorsichtiger und stiller gegenüber dem Schah-Regime zu sein, um einen Studienplatz zu erhalten und Ärztin werden zu können, so war Stillhalten nun keine Option mehr für mich. Ich musste gegen das Regime rebellieren. Ich konnte nicht klaglos das Kopftuch tragen.
Im Lauf der Zeit hatte ich mehr und mehr Kontakt zur Komalah, einer in Kurdistan aktiven linken Gruppe, bekommen. Ich war auch einige Male nach Kurdistan ins Grenzgebiet gereist, wo die Menschen die Komalah sehr unterstützten. Auch das war zum Teil nationalistisch motiviert, es gab viele Kurden, die der Idee eines autonomen Kurdistans anhingen. Aber die Komalah war eine der wenigen Oppositionsgruppen, die ebenso gegen das Schah-Regime wie gegen die islamische Diktatur waren.
Mein Mann hatte mehr Kontakt nach Kurdistan als ich, er war vor unserer Hochzeit mehrere Monate in Kurdistan bei der Komalah gewesen. Schon vor der Revolution hatte die Gruppe in den unzugänglichen Bergen einige Lager errichtet, unterstützt von der einheimischen Bevölkerung.
Eines Tages bekamen wir Besuch von drei kurdischen Frauen, eine war krank, und sie wollten in Tabriz einen Arzt aufsuchen. Sie stammten aus einer bekannten, politisch sehr aktiven Familie aus Kurdistan – und sie waren traditionell gekleidet. Die Komalah hatte sie zu unserer Adresse geschickt. Esmail war entsetzt, als er ihre kurdische Kleidung sah. Ein buntes langes Gewand wurde von einem hellen Schal umspielt. Ein Tuch um den Hals ließ die Haare sehen, auch wenn ein weiteres buntes Tuch wie ein Turban um den Kopf gewickelt war. Er sagte zu mir, dass diese Frauen uns durch ihre Kleidung verraten würden, sie müssten schon allen in der Straße aufgefallen sein in ihrer bunten Kluft. Wer Kontakt zu Kurden hatte, kam unweigerlich ins Visier der Staatsmacht, denn in Kurdistan gab es weite Teile, über die die Armee keine Kontrolle hatte und wo der Widerstand sehr stark war. Ich musste am nächsten Morgen ab sechs Uhr in der Cola-Fabrik arbeiten, deshalb versuchte ich, ihn zu beschwichtigen: »Wir können das am nächsten Tag nach meiner Schicht besprechen.« Mir schien dann noch Zeit genug für eine Diskussion mit unserem Besuch zu sein.
Doch als ich mit dem Bus um halb drei von der Arbeit kam, sah ich am Anfang unserer kleinen Straße einen Revolutionswächter stehen, mit seinem Gewehr im Anschlag. Ein Mann mit Bart und Kalaschnikow, bei dessen Anblick mein Herz einen Moment aussetzte. Ich musste nach Luft schnappen und dachte voller Angst an Esmail und seine Sorgen um eine Entdeckung. Vorsichtig bog ich in die Straße ein, dabei versuchte ich, nicht zögerlich zu wirken. »Nur nicht auffallen«, sagte ich mir innerlich vor wie ein Mantra.
Vor unserem Haus standen noch mehrere bewaffnete Männer. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, aber ich versuchte, ruhig und unauffällig weiterzugehen, den Kopf hielt ich gesenkt. So betrat ich ein Geschäft auf der anderen Straßenseite und spähte durch das Schaufenster zu unserer Wohnung. Durch das Fenster sah ich zwei weitere bewaffnete Männer. Meinen Mann sah ich nicht und auch keine der kurdischen Frauen. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte: Sie waren verhaftet worden. Auf einen ruhigen Schritt konzentriert, verließ ich das Geschäft, mir rann der Schweiß über die Stirn und den Rücken, denn mir war danach, die Beine in die Hand zu nehmen. Doch ich behielt das Schritttempo rund drei Kilometer bei, bis ich bei einer Freundin ankam. Dort wechselte ich den Tschador und sogar die Schuhe. Dann ging ich noch einmal zurück zu unserer Straße, die Wohnung schien nun leer zu sein, aber vor der Haustür stand ein Posten. Ein Bekannter wollte gerade um die Ecke biegen auf dem Weg zu uns, als er mir in die Arme lief. Ich flüsterte ihm schnell zu, dass er verschwinden solle – heute lebt er in London.
Zurück bei meiner Freundin erzählte mir deren Mann, der sich vorsichtig umgehört hatte, dass tatsächlich die Kleidung der drei Frauen
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