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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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sicher Tausende andere meine Stimme nicht abgegeben hatte. Wir wollten nicht über eine islamische Republik abstimmen – wir wollten eine breite Demokratie, einen säkularen Staat aufbauen.
    Die Revolution war als Volksbewegung gegen den Schah, die Armut und die Brutalität des Savak entstanden, die meisten Leute auf der Straße hatten kein politisches Konzept im Kopf. Nach einer Zeit der Euphorie machte sich Orientierungslosigkeit breit. Es fehlte eine Führungsgruppe, eine Führung. Dies hat Khomeini geschickt genutzt und auch den Westen benutzt, der ja ebenfalls einen Ansprechpartner in Teheran haben wollte und Ängste vor der Zeit nach dem Schah hatte. Khomeini bestückte die Regierung mit seinen Leuten, weder den Volksmudschaheddin noch den Linken hat er einen Platz eingeräumt, nur einigen Liberalen, die Anzüge und Krawatten trugen statt ein religiöses Gewand. Wobei liberal nicht säkular heißt im Iran, also nicht liberal im westlichen Verständnis meint. Der erste Präsident der neuen islamischen Republik, Bani-Sadr, war ein solch iranischer Liberaler. Zum Thema Kopftuch erklärte er, dass die Haare von Frauen eine Ausstrahlung hätten, die Männern gefährlich werden könne, sie sexuell erhitze, deshalb unterstütze er den Zwang zum Kopftuch. Die neuen Machthaber räumten auf. Sogar die Volksmudschaheddin, die eine große und durchaus islamische Bewegung gerade unter jungen Leuten waren, wurden nicht verschont. Als sie merkten, dass Khomeini sie von der Teilhabe an der Macht ausschloss, wollten sie das Regime stürzen und eine eigene Regierung bilden. Doch Khomeini und seine Getreuen waren schon fest im Sattel der Macht, viele Volksmudschaheddin wurden bis Mitte der 80er-Jahre verhaftet, gefoltert und hingerichtet.
    1980 kam der Kopftuchzwang – trag das Kopftuch oder wir prügeln dich, das war die Parole! Das islamische Regime setzte immer als Erstes den Kopftuchzwang durch, wenn es eine noch nicht unterworfene Stadt eingenommen hatte. Denn in vielen Provinzen musste sich die neue Macht erst nach und nach festigen. Auch deshalb sind das Kopftuch und der Kampf gegen das Kopftuch so wichtig, es ist ein durch und durch politisches Symbol für die Macht des politischen Islam.
    Die Universitäten waren inzwischen geschlossen worden, und ich wusste, dass ich auf einer schwarzen Liste des Regimes stand, so wie meine Freunde aus der Organisation des »Dritten Weges«. Damit war Studieren für mich nicht mehr möglich, ich war froh um meinen Job in der Fabrik, denn so konnte ich etwas zum Lebensunterhalt verdienen. Wenn ich keine Schicht in der Fabrik hatte, ging ich gegen das Kopftuch demonstrieren, mit Hunderten von Frauen und einigen Männern. Ohne Kopftuch natürlich. Ich kann mich noch an die erste dieser Demonstrationen erinnern, vor einem Mädchengymnasium. Die Lehrerinnen gaben sich kämpferisch, und auch die Schülerinnen klatschten Beifall, als ich erklärte, wir würden uns nicht unter das Kopftuch zwingen lassen. Die Stimmung war optimistisch, wir Frauen fühlten uns stark. Die Revolution sollte uns mehr Freiheiten bringen, keine Verhüllungen. Doch mit jedem Tag kamen mehr Männer mit Bärten als Zeichen ihres Glaubens, die unsere Demonstrationen gegen das Kopftuch störten. Sie wurden immer aggressiver, und schließlich kamen einige mit Messern. Mit dem Messer in der Hand sind sie Frauen hinterhergelaufen, Frauen ohne Kopftuch. Und schließlich hatten einige nicht nur Messer, sondern auch Kalaschnikows. Die Demonstrationen wurden kleiner, und schließlich blieben die Leute aus Angst um ihr Leben weg. Die Pasdaran, die Revolutionswächter, nahm mehr und mehr Demonstrantinnen und Demonstranten fest.
    Einmal sollte auch ich verhaftet werden, ein Pasdaran hatte mir mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen, und ich war so benommen, dass ich mich nicht gegen ihn wehren konnte. Doch andere Demonstranten konnten mich losreißen, und ich lief schnell in eine Seitenstraße. Ich hatte den Tschador immer in der Tasche, den habe ich mir schnell übergezogen und konnte unerkannt entkommen. So hat mich der Tschador tatsächlich vor Schlimmerem bewahrt.
    Ich kannte keine Frau, die das Kopftuch begrüßt hat. Es gab traditionelle Frauen wie meine Mutter, die trugen Kopftuch oder auch den Tschador. Das war eine Gewohnheit, das war Tradition. Aber nun hatte das Kopftuch so viel mehr Bedeutung. Denn nun hieß es: Entweder du trägst Kopftuch oder wir verprügeln dich. Meine jüngere Schwester Mahtab ist heute

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