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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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einem Nachbarn aufgefallen war, der dann die Geheimpolizei angerufen hatte, und dass die Frauen und mein Mann tatsächlich verhaftet worden waren. Hätte ich nur auf Esmail gehört und wäre mit ihm untergetaucht, statt zur Arbeit zu gehen! Nun konnte ich weder in die Wohnung noch in die Fabrik zurückkehren. Schlimmer aber war, dass er verhaftet worden war. Ich machte mir große Vorwürfe deswegen.
    Freunde boten mir ein erstes Versteck. Die Familie meines Mannes konnte ihn im Gefängnis besuchen, so hörte ich von seinem Bruder, dass er in Tabriz im Gefängnis war, aber lebte! Ich habe auch versucht, über die Komalah Kontakt zu Menschenrechtsorganisationen zu erhalten. Denn 1980 konnte für einige Gefangene dank Interventionen von Amnesty International und anderen eine Freilassung erwirkt werden, sogar das Khomeini-Regime war nicht immun gegen Druck von außen.
    Ich fuhr nach Teheran, wo ich eine Nacht bei meinem ältesten Bruder verbrachte, aber auf Dauer war das zu gefährlich für ihn und seine Familie. Alle Polizeikontrollpunkte hatten mein Foto. Ich besaß nichts mehr, keinen Pass, keine Kleidung außer der, die ich am Leibe trug. Alles war in der Wohnung gewesen. Deshalb ging ich zu Leuten von der Komalah, wechselte mit ihrer Hilfe von Wohnung zu Wohnung und glaubte fest daran, dass mein Mann bald freikäme. Die Angst um ihn und die Angst, selbst verhaftet zu werden, saßen mir nicht nur buchstäblich im Nacken, sondern in jeder Pore meines Körpers.
    Eines Abends – in der Familie, in der ich untergeschlüpft war, hatten wir gerade in einer Gruppe von sechs Leuten das Abendessen beendet – kam ein Parteimitglied zu Besuch. Seine ernste Miene, als er mich erblickte, verhieß nichts Gutes. Ich fing an zu schwitzen, denn im Grunde meines Herzens wusste ich, was nun kommen würde. Er sprach mir mit trauriger Miene sein Beileid aus, mein Mann war tot. Er reichte mir eine Zeitung mit einer Liste der in dieser Woche Hingerichteten. Esmail Yeganedost. Ich weinte die ganze Nacht hindurch, ich hatte nicht gewusst, dass ich so viele Tränen in mir hatte. Ich weinte mich in einen unruhigen Schlaf. Die Familie meines Mannes hatte mir eine Tüte mit seinen Sachen gepackt – einen Anzug, ein Hemd. Diese brachte mir ein Bruder von Esmail am nächsten Tag vorbei: »Leb wohl«, sagte er, denn in Kontakt mit mir zu bleiben wäre für ihn zu gefährlich gewesen. Ich war nun eine gesuchte Verbrecherin. Mit meinem Mann war auch ich in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Wir umarmten uns zum Abschied, und schmerzvoll erkannte ich die Ähnlichkeit mit Esmail im Gesicht seines Bruders. Als er fort war, nahm ich sein Hemd aus der Tüte und vergrub mein Gesicht in dem Stoff, der so oft Esmails Haut berührt hatte. Ich suchte seinen Duft. Am nächsten Morgen warf ich die Sachen hinter einen Busch. Falls ich mit ihnen festgenommen würde, würde man vielleicht die Familie meines Mannes bedrängen. Nur meinen Ehering behielt ich.
    Ich rief meine Mutter an, die daraufhin sofort nach Teheran kam, wir trafen uns noch einmal bei meinem ältesten Bruder Amir. Am nächsten Tag drängte ich darauf, ihn zu verlassen; als ich seine zwei kleinen Kinder sah, schien es mir verantwortungslos, ihr Leben durch meine Anwesenheit aufs Spiel zu setzen. Unsere Umarmung zum Abschied war meine letzte Begegnung mit ihm bis heute. Meine Mutter musste zurück nach Abhar, und ich bekam den nächsten Unterschlupf bei Komalah-Sympathisanten. Auch meine Mutter sollte ich 14 Jahre lang nicht wiedersehen.
    Eine Freundin war einige Tage nach meinem Mann verhaftet worden, sie wurde von der Polizei in ihrer Wohnung erwartet. Auch sie wurde gefoltert, und ihr drohte ebenfalls ein Todesurteil. Ihre Familie versuchte es mit Bestechung, gab Geld und Geschenke an Mullahs und Polizisten und schließlich kam sie frei, kurze Zeit nach der Ermordung meines Mannes.
    Als ich sie einige Wochen darauf traf, war sie sehr niedergeschlagen. Sie hatte Schuldgefühle, dass sie überlebt hatte, etwas, was viele Folteropfer quält. Es war auch für mich eine sehr traurige und verzweifelte Zeit. Die tiefe Angst vor Verhaftung und Ermordung ist sehr schwer zu ertragen, und auch ich war oft so verzweifelt, dass ich überlegt habe, mich umzubringen. Das Regime hat viele Menschen in den Selbstmord getrieben, das war Teil der Strategie von Verfolgung und Terror. Massenverhaftungen, Folterungen und Hinrichtungen, so viele verlorene Familienangehörige in dieser ersten großen Verhaftungs-

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