Ich habe abgeschworen
in einem Dorf, mein Mann und ich saßen im Haus eines alten Ehepaares, welches uns einen Tee gekocht hatte, da näherte sich eine Einheit der iranischen Armee. Mich quälte zu allem Überfluss noch eine fürchterliche Migräne, aber das war in der Situation das kleinste Problem. Mohammad ging zu seiner Einheit, und ich blieb bei den alten Leuten. Ich hatte eine Waffe, war aber nicht geübt im Schießen. Stunde um Stunde warteten wir, ich mit meinem dröhnenden Kopf, immer wieder hörten wir in der Ferne Schüsse. Erst am Abend klang der Kampf ab, das Dorf war verschont geblieben, doch dieser Nachmittag hat mir die Schrecken des Krieges nähergebracht als alles, was ich bis dahin erlebt hatte.
Der Kampf ging vorbei, die Armeeeinheit zog ab. Ein Mann von unserer Gruppe war im Gefecht getötet worden, wir beerdigten ihn am nächsten Morgen. Die Erinnerung an diese Beerdigung, wie der Leichnam versenkt wurde und die Abschiedsworte für den Gefallenen gesprochen wurden, wie das Grab zugeschaufelt wurde und wir auseinandergingen, ist in mir lebendig, als wenn es gestern gewesen wäre. Das Leben in den Bergen war noch weit schwerer als im Zentrallager. Auf dem Marsch bekam ich natürlich auch irgendwann meine Tage. Mangels Hilfsmitteln riss ich von einem Hemd den Ärmel ab und machte ihn zu meiner Binde. Meiner einzigen, was hieß, dass ich sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit in einem Bach auswusch, auswrang – und feucht wieder benutzte. Ich bekam eine schwere Erkältung, aber Zeit zum Ausruhen blieb nicht. Wir mussten in einer Reihe bleiben beim Marschieren, waren in der Gruppe rund 70 Leute, Rücksicht auf den Einzelnen konnten wir uns in dem von iranischen Truppen durchstreiften Gelände nicht leisten. Eine Frau hatte einen fürchterlichen Durchfall, sie musste mitunter in die Hose machen, da ein ständiges Anhalten zu gefährlich war! Wir marschierten eng in einer Reihe, bis zu 18 Stunden am Tag. Wir waren im Krieg. Arsa, die Frau mit dem Durchfall, war schließlich so geschwächt, dass sie umfiel. Wir zogen sie einfach auf und weiter, stehen bleiben war unmöglich, weil Späher iranische Soldaten in der Nähe gesehen hatten. Es ist mir im Nachhinein fast unvorstellbar, was wir durchgemacht haben, was wir ausgehalten haben.
Es war nicht nur, dass die iranische Armee Jagd auf uns machte, wir lebten zusätzlich mitten in der Frontlinie des irakisch-iranischen Krieges.
Ab Ende 1987 gerieten wir endgültig in die Schusslinie, Saddam Hussein hatte Verhandlungen mit seinen kurdischen Gegnern abgebrochen, und die Freie Zone wurde immer kleiner. Zu den iranischen Angriffen kamen nun die Angriffe irakischer Kampfflugzeuge.
Die Angriffe des Iran töteten vereinzelt Menschen in den Lagern. Aber den schlimmsten Angriff flog die Armee Saddam Husseins mit chemischen Waffen. Wir wussten, dass wir im Fall eines Gasangriffs nach oben auf den Berg, nicht nach unten ins Tal laufen sollten, denn das Gas ist schwerer als die Luft und sinkt deshalb nach unten. Eigentlich hätte ich zur Zeit dieses Angriffs mit chemischen Waffen im Radio arbeiten müssen, aber ich hatte just an diesem Nachmittag meinen Chef gefragt, ob ich früher gehen könne, da ich mich krank fühlte. Eigentlich war das nicht seine Art, jemanden wegen Krankheit früher gehen zu lassen, aber an diesem Tag hatte er aus einem unerfindlichen Grund besonders gute Laune. Kaum war ich im Hauptlager, hörte ich plötzlich die Flieger kommen. Ich sah, wie die Radiostation bombardiert wurde, sie war erstes Ziel des Angriffs. Unsere Stimme sollte zum Verstummen gebracht werden. In mir krampfte sich alles zusammen, und in Todesangst folgte ich einfach anderen Menschen, die mich den Berg mit hinaufzogen, fort vom Gas. 32 Menschen sind in der Radiostation bei diesem Angriff ums Leben gekommen. Mein Chef und viele meiner langjährigen Kolleginnen und Kollegen waren darunter, mich hatte ein Zufall gerettet.
Meine Integration in Europa
Flucht nach Europa
A uch wenn ich den Schergen der islamischen Republik durch meine Flucht in die kurdischen Berge entkommen war, mit den Jahren wurde auch das Leben dort immer schwerer, physisch und psychisch. Für mich war die Trennung von meiner Familie und alten Freunden oft hart, in den zehn Jahren meines Partisanenlebens bekam ich nur einmal einen Brief von meiner Mutter durch einen Kurier. Doch wenn ich die Kinder sah, die in einem Flüchtlingslager im Krieg groß wurden, wurde mir das Herz noch schwerer. Auch alte Menschen, die
Weitere Kostenlose Bücher