Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
jetzt warme Füße. Ich nahm ein paar Mäntel und Decken für uns und trug sie zurück zu der Baracke, wo wir uns warm anzogen.
Eines Nachmittags ging ich in die Küche, um Essen zu organisieren. Ein paar Kinder und einige Erwachsene, die dageblieben waren, hatten sich schon dort eingefunden und holten Brot.
Ich hatte gerade vier oder fünf Brotlaibe auf dem Arm, da hörte ich merkwürdigerweise das Geräusch eines Autos. »Die Nazis sind weg, wer kommt denn jetzt mit dem Auto?«, fragte ich mich verwundert. Wir rannten nach draußen, um nachzusehen. Ein Wagen, der an einen Jeep erinnerte, stand da, vier Nazis mit Maschinengewehren sprangen heraus und begannen, Kugeln in alle Richtungen zu feuern.
Ich erinnere mich, dass ich eine Gewehrmündung auf meinen Kopf gerichtet sah, ungefähr einen Meter von mir entfernt, dann verlor ich das Bewusstsein.
Als ich zu mir kam, dachte ich, ich sei tot. Überall um mich herum sah ich Leichen.
Nun denn. Wir sind also alle tot, dachte ich. Dann bewegte ich meine Arme. Ich bewegte meine Beine. Ich berührte die Person neben mir, aber sie bewegte sich nicht. Ihr Körper war kalt. Oh! Sie war tot, aber ich lebte!
Ich stand auf, sehr dankbar, am Leben zu sein. Gewiss, so dachte ich, hatte mich ein Schutzengel in Ohnmacht fallen lassen, bevor die Kugeln mich trafen, denn ich hatte keine Zeit gehabt, nachzudenken oder selbst irgendetwas zu meiner Rettung zu tun.
Ich rannte zur Baracke zurück. »Miriam?«, rief ich, während ich hineinstürzte.
Da war sie. »Was ist passiert?«, fragte sie mit erschrocken aufgerissenen Augen.
»Die Nazis sind zurück!«, sagte ich und fügte hinzu: »Ich frage mich, wieso. Um ein Haar hätten sie mich umgebracht!« Ich erzählte ihr, was geschehen war und welche Panik mich überwältigt hatte. »Jetzt haben wir überhaupt kein Brot. Ich hatte solche Angst, ich bin nur um mein Leben gerannt.«
»Oh, Eva«, sagte sie, »was wäre, wenn sie dich umgebracht hätten?«
Danach redeten wir nicht mehr über ein »Was wäre, wenn«. Wir umarmten uns nur und ließen uns nicht mehr los.
In der darauffolgenden Nacht wurden wir von Rauch und Hitze geweckt. Flammen schossen vom Dach herab. Wir fühlten die sengende Hitze des Feuers durch die Barackenmauern. Die Baracke brannte! Wir schnappten unsere Sachen und rannten ins Freie. Die Nazis waren wieder im Lager, sie waren nicht mehr untergetaucht, und vermutlich versuchten sie, Beweise für ihre Verbrechen zu vernichten.
Flammen röteten den Himmel, so weit wir sehen konnten. SS-Wachen hatten ein Krematorium und das Gebäude namens Kanada in die Luft gesprengt. Hemden und Kleider aus Kanada flogen inmitten von Funken und Asche durch die Luft. Zugleich griffen die Alliierten an und Bomben erleuchteten den Himmel. Es schien, als stünde die ganze Welt in Flammen.
Tausende Menschen strömten aus den endlosen Barackenreihen. Dieselben SS-Leute, die ich vor der Küche gesehen hatte, ließen uns zum Abmarsch antreten. »Wer nicht schnell genug marschiert, wird erschossen!«, schrie ein Wachmann. Zur Warnung feuerte er blindlings in die Menge.
»Miriam, bleib bei mir«, flüsterte ich. Wir wussten nicht, wohin wir unterwegs waren. Ich hielt ihre Hand ganz fest umklammert. Wir arbeiteten uns in die Mitte der Gruppe vor. Das war sicherer als vorne oder hinten, wo wir vielleicht Aufmerksamkeit erregen konnten. Wenn sie zu schießen anfingen, waren wir von anderen Menschen umgeben.
Die Menge zerrte uns mit. Bei dem Geschubse und Gedränge in diesem großen Pulk mussten wir darum kämpfen, unseren Platz in der Mitte zu behalten. Die SS feuerte immer wieder wahllos, während sie uns zusammentrieb. Rings um uns fielen Menschen tot zu Boden, unsere Angst wuchs. Alle Kinder und älteren Menschen, die bei den früheren Märschen nicht mitgenommen worden waren, waren bei diesem Marsch dabei. Später erfuhren wir, dass in jener Nacht zusammen mit uns achttausendzweihundert Menschen Birkenau verließen. Unterwegs wurden davon binnen einer Stunde tausendzweihundert getötet. Nur siebentausend Menschen kamen in den Baracken von Auschwitz an.
Mitgerissen von der Bewegung der Menschenmasse landeten wir schließlich wieder bei den Baracken von Auschwitz. Es war immer noch mitten in der Nacht, aber die Backsteingebäude leuchteten im Schein von Jupiterlampen. Da die Leute nicht wussten, was als Nächstes passieren würde, begannen sie heftig vorwärtszudrängen und sich in das zweistöckige Gebäude zu schieben. Auch Miriam und
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