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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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nicht mehr ist.«
    »Sie können nicht alles
auf Ihre Trauer schieben«, sagte ich. Als er wieder aufsah, sprach ich weiter.
»Sie haben meinen Sohn verkauft.«
    »Ich weiß nicht, wovon
du redest. Robinson Appleby hat deinen Sohn verkauft.«
    »Sie haben ihm geholfen
und sind dafür bezahlt worden. Sie haben meinen Sohn an eine Familie in Georgia
verkauft, in Savannah.«
    »Wer hat dir das
erzählt?«
    »Ein schöner Hebräer
sind Sie. Und dann behaupten Sie auch noch, dass Sie kein Weißer sind.«
    »Hast du meine
Unterlagen durchsucht?«
    Ich dachte, dass er
mich vielleicht schlagen und mir die Kleider vom Leib reißen würde, um mir
Gewalt anzutun. Ich dachte, vielleicht würde er mich aus dem Haus werfen und
ich müsste mich auf den Straßen von Charles Town allein durchschlagen. Aber
Solomon Lindo tat nichts von alledem. Er setzte sich erschöpft hin und sagte
mir, ich solle mich zu ihm setzen. Ich weigerte mich und blieb mit
verschränkten Armen vor ihm stehen.
    »Ich erwarte nicht,
dass du es verstehst, doch die Wahrheit hat mehr Seiten, als du denkst.«
    Für mich gab es nichts
mehr zu sagen. Mir waren Solomon Lindo und seine Wahrheiten egal.
    Während der
nächsten Wochen bewegte sich Lindo nur schwerfällig und widerwillig durchs
Haus. Wir schlossen einen unangenehmen Waffenstillstand. Ich zahlte ihm nichts
mehr, und er gab mir weder zu essen noch neue Kleidung, kein Walöl oder sonst
eine Art von Hilfe, nur das Recht, unbelästigt im Hinterhaus zu wohnen.
    Ich bekam von den Juden
in Charles Town keinerlei Hebammenarbeit mehr, und die anglikanischen
Sklavenbesitzer bezahlten mit nichts anderem mehr als den winzigsten Mengen Rum
und Tabak. Beides war nur schwer auf dem Markt einzutauschen. Ich musste mein
letztes gutes rotes Wickelkleid, das wie alle anderen zu verschleißen begann,
fester um meinen Leib binden.
    Solomon Lindo ließ mich
seine Bücher nicht länger führen und begann bei seiner Schwester zu essen. Zum
ersten Mal, seit ich nach Charles Town gekommen war, verspürte ich täglich
nagenden Hunger. Die Weißen auf dem Markt murrten einander vor, vom König von
England versklavt zu werden, doch ich hatte keine Ohren für ihre Klagen. Freiheit für die Amerikaner. Nieder mit der Sklaverei . Damit meinten sie natürlich nicht die
Sklaverei, die ich kannte, oder die Freiheit, die ich wollte, und mir kam das
alles lächerlich vor.
    Gegen alle Vernunft und
Logik wartete und hoffte ich auf Chekuras Rückkehr. Er hatte gesagt, vielleicht
komme er zurück. Aber keine Stimme rief meinen afrikanischen Namen, keine Füße
kamen nachts die Treppe herauf, um mich zu finden. Ich hielt auf den Straßen
und Märkten Ausschau, aber Chekura war nirgends zu entdecken. Ich las die
Zeitungen der Stadt, um zu sehen, ob vielleicht jemand nach einem entlaufenen
»Bediensteten« namens Chekura suchte. Dort stand jedoch nur, dass die Engländer
den Spaniern das Land im Süden abgenommen hätten. Ich lebte in einer
feindseligen Stadt, umgeben von Sümpfen, Wasserläufen und Inseln voller
Patrouillen, Wachposten, Menschenfallen und Plantagenbesitzer, die auf jeden
durchziehenden Neger schossen, und ich wusste, es war genauso unwahrscheinlich,
dass er es sicher nach Charles Town schaffte, wie ich unentdeckt nach Lady’s
Island fahren konnte. Es gab keine Zuflucht, kein Versteck mehr.
    Drei Monate nach seiner
Rückkehr aus New York rief mich Solomon Lindo, ich solle in den Salon kommen.
Ich hatte seit langer Zeit keinen Fuß mehr ins Haus gesetzt und konnte mich
nicht erinnern, wann ich mich zuletzt satt gegessen hatte.
    »Es sieht so aus, als
litten wir beide«, sagte Lindo, »und ich beende hiermit unsere verfahrene
Situation. Ich muss wieder nach New York. Ich habe noch eine Chance, für die
Indigo-Subventionen einzutreten.« Lindo gab mir ein Tablett mit Brot, Käse und
Obst und dazu ein Bündel Kleider. »Nimm das Essen und die Kleider, denn es ist
nicht richtig von mir, dich verkümmern zu lassen.«
    Ich dachte, er wolle
mich verkaufen, aber dieser Mann, der behauptete, kein Weißer zu sein,
überraschte mich ein weiteres Mal.
    »Das Schiff legt morgen
früh um zehn Uhr ab«, sagte er. »Sei um Punkt acht fertig. Ich habe
beschlossen, dich mitzunehmen. Wir werden einen Monat unterwegs sein, und ich
werde dafür sorgen, dass du zu essen hast und die richtigen Kleider für das
nördliche Klima. Du wirst Briefe schreiben, mir meine Bücher führen und
verschiedene Aufgaben erledigen. Vielleicht können wir so den Schaden

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