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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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deinem Kopf.«
    Das Gewicht rollte von
mir herunter. Mein Angreifer hob sich auf die Knie, kam auf die Beine, zog sich
die Hose hoch und rannte davon, ohne sie zuzuknöpfen.
    »Was für eine Schande«,
sagte der Mann mit der Pistole.
    Ich sah ihm nicht ins
Gesicht, hörte jedoch, dass er einen britischen Akzent hatte.
    »Noch eine Sekunde
länger, und ich hätte ihn erschossen. Hier. Lass mich dir helfen.«
    Ich war ihm dankbar,
dass er meinen Angreifer in die Flucht geschlagen hatte, aber wer immer er war,
ich wollte vor allem allein gelassen werden. Haut war durch die Risse in meiner
Kleidung sichtbar, und ich wünschte mich zwei Straßen weiter in unsere Kapelle,
wo mir jemand helfen würde. Ich hielt den Blick gesenkt.
    »Danke«, sagte ich, »es
geht schon wieder. Sie können mich …«
    »Du sprichst sehr gut
Englisch. Ich habe von dir gehört«, sagte der Mann. »Du unterrichtest Neger in
der Kapelle. Du bist die, die sie Meena nennen.«
    Ich hob den Blick und
sah einen jungen Mann in englischer Armeeuniform. Er hielt mir seine Hand
entgegen, und ich schüttelte sie.
    »Lieutenant Malcolm
Waters«, sagte er und ließ meine Hand wieder los. Er hatte kurzes blondes, zur
Seite gekämmtes Haar und ein schroffes Gesicht mit durchdringenden Augen. »Ob
du es glaubst oder nicht, ich habe gerade erst von dir gesprochen«, sagte er.
    »Danke, aber ich muss
jetzt wirklich gehen.«
    »Ich kann dich doch
nicht so allein lassen. Warst du auf dem Weg zur St. Paul’s Chapel?« Ich
nickte. »Dann begleite ich dich, und während deine Freunde dir helfen, besorge
ich dir eine Decke.«
    Ich ging mit ihm.
    »Der Pfarrer sagt, du
bist eine Lehrerin, richtig? Und eine Hebamme, wie ich höre?«
    Ich fragte mich, warum
um alles in der Welt er mit dem Pfarrer über mich gesprochen hatte, nickte
jedoch nur wieder und ging weiter. Als wir die Kapelle erreichten, ließ er mich
bei meinen Freunden, die mich umarmten, mir die Schrammen im Gesicht säuberten
und schimpften, ich solle nicht so dumm sein und nachts allein durch die
Straßen laufen. Claybourne war an diesem Abend nicht da, doch nach einer Stunde
kam Lieutenant Waters zurück und brachte mir eine Decke, in die ich mich
wickelte. Er bot mir an, mich zurück nach Canvas Town zu begleiten.
    »Sie bring’n sie nich«,
sagte Bertilda. »’n Weißer wie Sie, so fein gekleidet, Sie geh’n rein nach
Canvas Town, komm’ aber vielleicht nich mehr raus.«
    »Dann begleite ich euch
wenigstens ein Stück«, sagte er.
    So machten Bertilda,
Lieutenant Waters und ich uns auf den Weg zurück nach Canvas Town.
    »Wer sind Sie?«, fragte
Bertilda.
    »Ich bin Lieutenant der
britischen Marine.«
    »Und was woll’n Sie von
meiner Meena?«
    »Ich möchte sie ein
paar Dinge fragen.«
    »Was?«
    Leise sagte er: »Es ist
etwas Privates.«
    »Hmm. Der Kerl, der sie
überfall’n hat, wollte auch was Privates.«
    »Nun, das ist es nicht.
Ich bin ein ehrbarer Mann.«
    Er sprach in einem
komischen Singsang, und Bertildas Fragen schienen ihn eher zu belustigen als zu
beleidigen. Er bot mir an, mich am nächsten Abend in Fraunces Tavern zum Essen
einzuladen, verließ uns am Rand von Canvas Town und verschwand in der
Dunkelheit.
    »Was für’n verrückter
Weißer will denn wohl nachts nach Canvas Town reinmarschier’n?«, sagte
Bertilda.
    »Wir sind genauso
verrückt«, sagte ich, »nachts durch die Straßen von New York zu laufen.«
    »Und unser Claybourne,
der uns immer sagt, nachts nich rumzulauf’n, der iss auch verrückt«, sagte
Bertilda. »Wie soll’ne Frau denn rumkommen, wenn nich auf ihr’n eigenen zwei
Beinen? Und ich hab kein’ Mann nich’ im Bett, oder einen, der mich nachts
abholt.«
    »Ich auch nicht«, sagte
ich.
    »Hass du’n Auge auf
Claybourne?«, fragte sie.
    »Nein, ich hab schon
einen Mann.«
    »Und wo?«
    »Ich weiß nicht. Und
du?«, fragte ich, »hast du ein Auge auf Claybourne?«
    Bertildas Mundwinkel
hoben sich, und ihre Augen wurden in der Dunkelheit ganz groß. »Ich wart’ schon
ständig auf ihn und frag mich, ob mich der verrückte Kerl je mal nach’n
bisschen Haut fragt.«
    »Vielleicht weiß er
nicht, ob du es willst«, sagte ich.
    »Du hass also nichts
mit ihm?«, fragte sie.
    »Ganz und gar nichts.«
    »Gut. Aber überleg’s
dir nich plötzlich anders.«
    Gebratene
Ente. Gekochte Kartoffeln. Grüne Bohnen. Süßer Kaffee. Ich aß ein schönes Essen
auf Rechnung von Lieutenant Malcom Waters, und er kam die ganze Zeit auf nichts
Besonderes zu sprechen. Er sei

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