Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
Vom Netzwerk:
da
meine Wehen einsetzten, waren die meisten Bewohner Birchtowns nach Shelburne
gezogen, wo ein Schiff angelegt hatte. Jeder Mann und jede Frau mit einem
kräftigen Rücken und gesunden Armen konnte sich zwei Schillinge damit
verdienen, von morgens bis abends Kisten und Lasten an Land zu schleppen.
    Ich wollte mein Baby
nicht allein bekommen. Was, wenn etwas schiefging? Was, wenn ich Hilfe
brauchte? Zu Hause, als Kind in Bayo, hatte ich die Leute sagen hören, Unglück
komme über jedes Baby, das allein von seiner Mutter auf die Welt gebracht
werde.
    Niemand antwortete, als
ich an die Tür des Priesters klopfte. Ich zog sie auf und hörte sie auf ihren
rostigen Angeln quietschen.
    »Daddy Moses!
Evangeline!«
    Evangeline, die ihren
Mann jeden Morgen anzog und rasierte, war nicht im vorderen Zimmer. Hinten
hörte ich Daddy Moses schnarchen.
    »Daddy Moses.
Evangeline!«
    Ich zog den Vorhang zur
Seite. Der Priester lag voll angezogen auf seinem Bett. Er war allein. Auf dem
kleinen Tisch neben seinem Bett stand eine lauwarme Tasse Tee. Ich schloss
daraus, dass Evangeline ihren Mann angezogen und ihm Tee gekocht hatte und
anschließend zum Arbeiten nach Shelburne gegangen war.
    »Daddy Moses!«
    Er setzte sich abrupt
auf. »Wer ist da?«
    »Ich bin’s, Meena.«
    »Was für eine Tageszeit
ist es?«
    »Morgen.«
    »Was machst du in
meinem Schlafzimmer, Frau?«
    »Meine Zeit ist
gekommen, Daddy Moses.«
    Er schien mich nicht zu
hören oder nicht zu verstehen. »Wo ist meine Frau?«
    »Es sieht so aus, als
hätte sie dich schon angezogen und dir einen Tee gekocht, Daddy Moses.«
    »Ja, ja, das stimmt.
Sie ist heute in Shelburne. Wo ist meine Brille?«, sagte er.
    Ich nahm die Brille von
einer Kiste und gab sie ihm in die Hand. Er setzte sie sich auf die Nase.
    »Sag mir noch einmal,
warum du heute Morgen kommst?«
    »Ich bin so weit, mein
Baby zu bekommen.«
    In der Kirche war der
Mann so lebendig und voller Energie, dass die Gemeinde nicht an sich halten
konnte, wenn er auf die Brüstung der Kanzel schlug und davon erzählte, wie
Moses die Hebräer in die Freiheit führte. Sie waren
auserwählt, sich in Palästina niederzulassen, und auch wir, Brüder und
Schwestern, sind ein auserwähltes Volk. Auch uns ist die Freiheit vorbestimmt,
hier in Birchtown in Neuschottland . Aber ohne seine Frau, die ihm zur Seite stand, wirkte dieser Mann,
der so viele seiner Gemeindemitglieder aufspringen ließ und in Ekstase
versetzte, verletzlich.
    »Wenn dein Baby kommt,
gibt es einiges zu tun.« Daddy Moses schwang die Beine vom Bett. »Geh und hol
ein paar Jungs, damit sie mir aufhelfen.«
    Ich ging und kam kurz
darauf mit vier Jungen zurück, die von den anderen in Birchtown zurückgelassen
worden waren, damit sie sich um ihre jüngeren Geschwister kümmerten. Sie trugen
Daddy Moses hinaus auf den Gemeindekarren, zogen ihn zu meiner Hütte und
setzten ihn auf den Hocker, den ich mitgebracht hatte.
    Als wir wieder allein
waren, sagte ich: »Ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe.«
    »Mach dir das Herz
nicht schwer und hab keine Angst.«
    Ich musste lachen. »Du
wirst doch nicht die ganze Zeit, während ich das Baby bekomme, wie in der
Kirche reden?«
    Daddy Moses streckte
die Beine aus und klopfte mit seinem Stock gegen die Wand. »Wohl eher nicht.
Sorg dich nicht, Mädchen. Du bist stabil wie’n Fünf-Meter-Baum.«
    »Ich würde mich weit
besser fühlen, wenn die Frauen bald aus Shelburne zurückkämen.«
    »Ich will dich schon
seit einiger Zeit etwas fragen.«
    »Nun, dann los und frag
schon.«
    Daddy Moses wandte mir
das Gesicht zu, als könnte er mich sehen. »Warst du verheiratet, als dieses
Kind in deinem Bauch gezeugt wurde?«
    »Ganz sicher war ich
das. Mein Mann heißt Chekura. Wie ich schon erzählt habe, sollte ich mit ihm
nach Annapolis Royal segeln, aber dann haben sie mich vom Schiff geholt und er
musste allein fahren. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich weiß ja nicht mal, ob er
es bis Annapolis Royal geschafft hat. Dabei hatte ich gehofft, dass er heute
käme.«
    »Heute?«
    »Ja, das hatte ich
gehofft.«
    »Wenn er käme, wäre er
schon hier. Glaub mir, ich weiß, wie die Männer sind.«
    »Er kommt«, sagte ich.
»Ich weiß es einfach.«
    »Warum bist du so
sicher?«
    »Ich muss doch an etwas
glauben«, sagte ich.
    »Amen«, sagte Daddy
Moses.
    »Und jetzt möchte ich
dich etwas fragen.«
    »Dann lass mich deine
Frage hören.«
    »Wenn du stockblind
bist, warum trägst du dann eine Brille?«
    »Ich mag es, wie

Weitere Kostenlose Bücher