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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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drei
Leuten Briefe mit, die mit dem Schiff hinfuhren, und bat sie, in von schwarzen
Königstreuen frequentierten Gasthäusern Zettel auszuhängen. Doch ich bekam nie
eine Antwort. Es war zu weit, um die Stadt zu Fuß zu erreichen, und ich hatte
kein Geld für die Schiffspassage und sowieso reichlich damit zu tun, am Leben
und für das Baby in meinem Bauch gesund zu bleiben. Wo immer er war, ich
wusste, dass Chekura sich mehr als alles sonst um unser Baby kümmern wollte.
    Der Weg von
Shelburne nach Birchtown war weit, beschwerlich und schmutzig. Wenn man gut zu
Fuß war und so schnell ging, wie es zwei Beine konnten, war man mindestens zwei
Stunden unterwegs. Wir besaßen keine Pferde oder Wagen, nichts als unsere
verschwielten Füße, die uns hin- und hertrugen. In Birchtown hatten wir neben
den Hütten, Zelten und Erdlöchern unsere Kirchen, in denen wir nicht nur
beteten, sondern auch Musik machten und lachten. Wir besorgten Rum und
Roggenwhiskey, wenn wir welchen bekommen konnten. In den Gasthäusern von
Shelburne zu trinken, war gefährlich, aber keine weiße Seele hatte etwas gegen
eine Lustbarkeit in Birchtown. Weiße kamen nur selten zu uns heraus.
    Nachts wechselten viele
Männer und Frauen in Birchtown von Bett zu Bett. Trotz der missbilligenden Töne
Evangeline Wilkinsons, die von Sünde und Unzucht sprach, bildeten sich Paare
und trennten sich wieder, wechselten die Partner und fanden neu zusammen. Wenn
ich über die matschigen Pfade Birchtowns lief, hörte ich oft tiefes Stöhnen und
hohe Schreie aus den Hütten dringen, bei Tag auch aus den Kapellen. Auf seiner
Kanzel forderte Daddy Moses die Leute auf, sich sittsamer zu betragen und Jesus
mehr stille Nächte zu schenken. Ohne Erfolg.
    In meinem
ersten Winter in Neuschottland wurde Birchtown von zahlreichen Krankheiten
gegeißelt, und als die Erde zu tief gefroren war, dass man Löcher
hineinzugraben vermochte, kamen die Toten direkt in den Sumpf, der
komischerweise offen blieb. Die Lebenden nahmen die Kleider der Toten und
beteten, dass ihre eigene Zeit einmal in den wärmeren Monaten ablief, wenn die
Erde so weich war, dass sie ein anständiges Begräbnis bekommen konnten.
    Ich brachte vier
weitere Babys auf die Welt, doch zwei von ihnen starben bereits in ihrem ersten
Monat. Ich fragte mich, wie überhaupt ein Baby ein solches Wetter überleben
konnte, und schätzte mich glücklich, dass mein eigenes Kind erst im Frühling
kommen würde. Die Bewohner von Birchtown hatten kein Geld und keine Güter, mit
denen sie mich bezahlen konnten, aber sie gaben mir zu essen, denn ein paar
Scheffel Kartoffeln gab es immer und ein paar Jugendliche hatten ein Geschick
darin entwickelt, schneefarbene Hasen zu fangen.
    Von einer Weißen in
Shelburne, deren Baby ich zur Welt bringen half und die sagte, der Doktor sei
ein Quacksalber, der auch noch zwei Pfund wolle, bekam ich zwei Brotlaibe,
zwanzig Äpfel, einen Beutel Reis und einen alten Schlitten. Ich packte das
Essen auf den Schlitten und zog ihn zurück nach Birchtown. Jason verstärkte den
Schlitten und band ein festeres Seil daran, was es ihm leichter machte, Daddy
Moses durch den hohen Schnee zu ziehen.
    Zweimal in der Woche
ging ich zu Daddy Moses in die Messe. Während er sich am Geländer seiner Kanzel
festhielt, damit ihn keiner stützen musste, donnerte und klagte er, bis er
heiser wurde. Manchmal verdrehte er die Augen und fiel zurück in die Arme von
zwei wartenden Diakonen. In den Bankreihen sprangen immer wieder Betende auf,
wedelten wild mit den Armen und brachen zusammen. So wiedergeboren wurde ich
nie, und während die anderen um mich herum in Ekstase gerieten, dachte ich an
meinen Koran lesenden Vater und was er wohl von solchen Frömmigkeitsanfällen
gehalten hätte. Die Gedanken an ihn führten zu Gedanken an meine Mutter, und im
Gegensatz zu den Menschen um mich herum, die sich in die Arme fielen und zu
Jesus sangen, saß ich auf meinem Platz und gab mich meiner Traurigkeit hin. Zu
ihrem lauten »Preiset den Herrn!« und »Halleluja, Schwester!« ließ ich meinen
Tränen freien Lauf und vertraute darauf, dass mich niemand mit Besorgnis
bedrängen würde. Wie oft in diesem Winter sank ich auf die Knie, rief die Namen
meiner Eltern, meines Sohnes und meines Mannes und weinte um sie, als hätte ich
sie gerade erst, mit dem letzten Atemzug, verloren. Die Arme um den Leib
geschlungen, mich vor- und zurückwiegend, betete ich, ein weiteres gesundes
Kind geschenkt zu bekommen.
    An dem Frühlingstag,

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