Ich habe einen Namen: Roman
lange keiner mehr
dafür bezahlen können.
May begleitete mich
gerne, wenn ich in Shelburne arbeitete. Als sie drei war, bekam sie jede Woche
Milch und Kekse von Mrs Witherspoon, die sich beim Essen zu ihr setzte und mit
ihr spielte. Eines Tages schrieb Mrs Witherspoon die Buchstaben M-A-Y auf ein Stück Papier.
»Weißt du, was …?«
»May«, sagte meine
Tochter.
»Woher weißt du das?«,
fragte Mrs Witherspoon.
»Das ist mein Name. May . Mama hat
es mir gezeigt.«
»Und was ist hiermit?«,
fragte Mrs Witherspoon und schrieb noch ein Wort.
»Mama«, sagte May.
»Und das?«
»Papa«, sagte May. »Ihm
fehlen ein paar Finger, und er liebt mich.«
Mrs Witherspoon warf
mir einen Blick zu. Sie wusste, dass ich mit McArdles Hilfe schon vor langer
Zeit Anzeigen in Annapolis Royal aufgegeben hatte, um etwas über Chekura und
sein Verbleiben herauszufinden. Ohne eine Reaktion. Mrs Witherspoon wusste
auch, dass ich, als May ein Jahr alt gewesen war, genug Geld gehabt hatte, um
mit ihr eine Sommerreise nach Annapolis Royal zu machen, dass wir aber schon
mit dem nächsten Schiff wieder zurückgekommen waren: Ich hatte nicht einen
einzigen Neger finden können, der von Chekura oder der Joseph gehört
hatte, die im Herbst 1783 in Annapolis Royal gelandet sein sollte. Ich hatte
keine Ahnung, was aus meinem Mann geworden war oder wo er sein mochte, glaubte
aber immer noch, dass er lebte und mich, wenn er konnte, eines Tages finden würde.
Ich sorgte dafür, dass jeder Neger in Birchtown und jede mir freundlich
gesonnene Person in Shelburne wusste, dass ich auf ihn wartete, damit jeder,
der ihm begegnete oder von ihm hörte, mithelfen konnte, dass wir uns fanden.
Als ich May ein paar
Wochen nach ihrem dritten Geburtstag von ihrem Vater und unserer Heimat
erzählte, sagte sie: »Sorg dich nicht, Mama, wir fahren eines Tages dorthin
zurück.« Ich fragte sie, wie wir das anstellen sollten. »Wir machen einen
langen Spaziergang und nehmen viel Essen mit, falls wir unterwegs zu Mittag
essen müssen, und wenn wir ans Ende des Waldes kommen, finden wir Afrika.«
Bald nach dieser
Unterhaltung bekam meine Tochter Fieber und Durchfall wie viele andere in
Birchtown. Ich konnte zwei Tage nicht zu McArdle, dachte aber, dass ich es mir
nicht erlauben könnte, noch mehr Tage bei den Witherspoons zu fehlen. Also
beschloss ich, May mit mir zu nehmen, und dachte, Mrs Witherspoon würde mich
vielleicht eine alte Decke nehmen lassen, damit May darauf schlafen konnte, während
ich arbeitete. Ich trug May auf den Schultern, aber sie war zu schwach, um sich
vorzubeugen und mit den Händen an meiner Stirn festzuhalten. Die ganze Strecke
nach Shelburne musste ich die Arme hochhalten, weil ich ihre Hände nicht
loslassen konnte. Als wir ankamen, hatte ich kaum mehr ein Gefühl in ihnen, und
die Stirn meiner Tochter glühte.
»Um Himmels willen«,
sagte Mrs Witherspoon, »was hast du denn mit deiner lieben May gemacht? Hallo,
May. Kannst du mich sehen? Kannst du mich ansehen? Hier, Liebes. Sieh her.«
May konnte die Augen
kaum öffnen und nicht ohne Hilfe stehen, als ich sie abzusetzen versuchte.
»Soll ich einen Doktor
rufen?«
»Nein«, sagte ich
ziemlich brüsk, mühte mich aber gleich, freundlicher zu klingen, denn ich
brauchte Mrs Witherspoons Hilfe und wollte sie nicht beleidigen.
»Entschuldigung, aber ich traue dem Doktor nicht. May muss sich nur etwas
ausruhen, während ich arbeite.«
Wir legten May im
Fremdenzimmer unten im Erdgeschoss ins Bett, nahe bei mir, deckten sie zu und
brachten ihr jede Stunde Wasser. Abends bot uns Mrs Witherspoon an, über Nacht
zu bleiben. Ich war ihr so dankbar, und meine Dankbarkeit wuchs noch während
der drei Tage, bis Mays Fieber endlich nachließ, ihr Durchfall aufhörte und sie
wieder zu essen begann. Mrs Witherspoon bestand darauf, dass wir auch noch eine
vierte Nacht blieben, damit sich May etwas erholen konnte, bevor wir nach
Birchtown zurückkehrten. An jenem letzten Tag kam May wieder auf die Beine,
spielte mit Mr Witherspoon und versuchte ihn am Bart zu ziehen. Ich sah ihrem
liebevollen Spiel zu und wünschte mir aufs Neue, dass meine Tochter endlich
ihren Vater kennenlernte. Chekura, da war ich sicher, wäre genauso mit ihr
umgegangen. Ich liebte alles an meiner Tochter und pries jeden einzelnen ihrer
Herzschläge, aber ich war keine lustige Mutter. Ich trug nicht viel
Ausgelassenheit in mir. Ich nährte sie, kleidete sie, brachte ihr schon vor
ihrem dritten Geburtstag das
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