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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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schluchzte ich, »ist meine Tochter? Sie ist drei.
So groß. Sie heißt May.«
    »Das kleine Ding ist
Ihres?«
    Ich überquerte die
Straße und brachte mein Gesicht ganz nahe an das der Frau. In meiner Angst und
meiner Wut wollte ich sie gleichzeitig erwürgen und vor ihr auf die Knie fallen
und um Hilfe betteln.
    »Wo ist May?«
    Die Frau wich ein Stück
zurück und räusperte sich. »Die Witherspoons sind mit dem Schiff davon. Sie und
das Mädchen gehen mich nichts an.«
    Damit machte sie mir
die Tür vor der Nase zu, und ich hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde.
    Noch einmal überquerte
ich die Straße, nahm einen Stein und zerschlug einen Fensterladen der
Witherspoons. Ich kletterte nach drinnen. Die Zimmer waren alle leer. Tische,
Schränke und Betten waren weg.
    »May!«, schrie ich
wieder und wieder. Aber niemand antwortete.
    Ich stolperte hinunter
zur Water Street. Über den Anleger liefen ein paar weiße Arbeiter. Ich trat auf
sie zu.
    »Ich suche nach meiner
Tochter. Drei Jahre alt. Sie heißt May. Haben Sie ein kleines Negermädchen
gesehen? Vielleicht zusammen mit weißen Leuten?«
    Einer der Arbeiter
spuckte mir vor die Füße, die meisten beachteten mich nicht.
    »Bitte. Ich will doch
nur meine Tochter. Kann mir jemand sagen, ob er ein kleines Negermädchen
gesehen hat?«
    Keiner wollte mit mir
reden. Ich lief weiter auf den Anleger hinaus zu einem jungen Mann, der mit
einem schweren Tau beschäftigt war.
    »Bitte«, sagte ich.
»Ich suche nach meiner Tochter. Ein kleines Mädchen. Drei Jahre alt.«
    »Ich hab kein
Negermädchen geseh’n.«
    »Haben Sie die
Witherspoons gesehen? Einen Mann und eine Frau, die in der Charlotte Street
gewohnt haben?«
    »Ich kenne keine von
den reichen Leut’n«, sagte er, »aber’n paar sind heut Morgen weg, mit dem
Schiff. Da war’n drei oder vier Familien drauf. Mehr weiß ich nich.«
    Ich rannte zurück an
Land und platzte in McArdles Druckerei. Theo McArdle sah von seiner
Druckmaschine auf.
    »Meena!«
    »Wo ist meine Tochter?«
    »Hat dich jemand
hereinkommen sehen? Es ist hier nicht sicher für dich.«
    »Ich kann meine Tochter
nicht finden. Die Witherspoons sind weg.«
    »Wenn irgendwer denkt,
ich bezahle dich …«
    Ich nahm eine seiner
Zeitungen und warf sie nach ihm. Ich packte ein Bündel Papiere, riss die Tür
auf und schleuderte sie nach draußen. »Was ist mit meiner Tochter?«
    McArdle lief an mir
vorbei, schob den Riegel vor und zog den Vorhang zu. Er brachte mir einen
Stuhl, damit ich mich setzte, was ich tat, und stellte sich mit dem Rücken vor
die Tür.
    »Die Witherspoons haben
sich schon seit einiger Zeit darauf vorbereitet, die Stadt zu verlassen«, sagte
er. »Ich dachte, das wüsstest du. Und als die Unruhen vorbei waren, haben sie
beschlossen, dass es so weit war.«
    »Aber wo ist meine
Tochter?«
    »Als es auf den Straßen
ruhiger wurde, haben sie zwanzig Träger angeheuert, um ihre Sachen zum Wasser
zu bringen. Innerhalb von ein, zwei Stunden waren sie weg.«
    »Weiße Träger oder
schwarze?«, fragte ich. »Neger könnten mir wenigstens was darüber sagen, was
mit May ist.«
    »Weiße.«
    »War May bei den
Witherspoons?«
    Er konnte nicht
sprechen, nickte aber langsam.
    »Sagen Sie’s mir«,
schrie ich. »Mit Worten. Ist meine Tochter mit auf das Schiff gegangen?«
    Er wandte sich zur
Seite und sah zu Boden. »Ja.«
    »Wohin sind sie?«,
flüsterte ich. Er hörte mich nicht, deshalb wiederholte ich die Frage.
    »Nach Boston.«
    »Und Sie haben sie
nicht aufgehalten?«
    »Ich habe es versucht«,
sagte er.
    »Was ist geschehen?«,
sagte ich. »Sagen Sie’s mir!«
    »Ich bin aus dem
Geschäft und ihnen hinunter zum Anleger gefolgt.«
    »Meine Tochter, hat sie
geweint?«
    »Nein.«
    »Hat Mrs Witherspoon
mit ihr geredet?«
    »Ja, sie hat gesagt, du
kämest bald nach. Ich habe versucht, mit Mrs Witherspoon zu sprechen.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Ich habe sie gefragt,
ob es nicht besser wäre, das Kind bei mir zu lassen. Bis du zurückkämest, um es
zu holen. Aber da waren Wachposten auf dem Anleger, wegen der Unruhen. Mrs
Witherspoon hat ihnen gesagt, ich würde Unruhe stiften. Da bin ich
zurückgewichen. Meena, ich hätte es nicht tun dürfen, ich hätte mich lauter
beschweren müssen, aber ich bin zurückgewichen, als die Posten auf mich
zugekommen sind, und die Witherspoons sind mit deiner Tochter abgereist.«
    »Waren da Neger im
Hafen? Leute, die mehr erzählen könnten?«
    »Nein«, sagte er.
    »Und was hat meine
Tochter

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