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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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weiter vor,
bis ich fünf Männer mit Messern, Gewehren, Seilen und Schnapsflaschen Richtung
Birchtown gehen sah. Es hatte keinen Sinn zurückzulaufen, denn dann bekamen sie
mich dort. Es war aber auch gefährlich weiterzugehen, sie durften mich nicht entdecken.
Also kletterte ich hoch in eine Kiefer. Von einem klebrigen Ast zum nächsten
zog ich mich und saß dann ganz still. Ich spürte, wie mir das Herz in der Brust
schlug, aber wenigstens wurde mein lauter Atem vom Gelächter und Geschrei der
Männer übertönt.
    Sie redeten vom
»Hüttenzertrümmern in Nigger-Town«, als plötzlich Jason um die Biegung kam und
sich von ihnen umringt sah.
    »Wohin willst du,
Junge?«, sagte einer der weißen Männer.
    »Ich geh nach
Shelburne.«
    »Du gehörst aber nach
Birchtown.«
    »Meine Mama iss in
Shelburne. Ich will sie abholen.«
    »Was macht deine Mama
in Shelburne?«
    »Sie hat Wäsche
zurückgebracht.«
    »Nimmt einer Weißen die
Arbeit weg, was?«
    »Sie hat nur’n paar
Sachen gewaschen.«
    Einer der Männer schlug
Jason mit einem Gewehrkolben nieder.
    »Jetzt hast du mir den
Spaß verdorben«, sagte der Redner.
    »Was für einen Spaß?«
    »Ich wollte mit ihm
spielen. Ihm eine Lektion erteilen. Ihn ganz langsam umbringen. Und du schlägst
ihn einfach so nieder und verdirbst es mir.«
    »Binden wir ihn doch an
einen Baum und machen uns später unseren Spaß mit ihm.«
    Die Männer zerrten
Jason vom Weg, banden ihn an einen Baum nicht weit von meinem und zogen weiter.
    Ich wartete ein paar
Minuten, um zu sehen, ob sonst noch jemand kam. Jason fing langsam an zu
stöhnen. Ich kletterte vom Baum, lief zu ihm und löste eilig die Knoten, mit
denen sie seine Hände an den Baum gebunden hatten.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja. Gut, dass du hier
bist«, sagte er.
    »Du willst zu deiner
Mama?«
    »Mama iss bei den
Unruhen gestorben. Sie wollte sich wehren und iss tot umgefallen, ohne dass sie
auch nur einer angerührt hätte.«
    Er stand auf, und ich
umarmte ihn. »Das sind ja schreckliche Neuigkeiten«, sagte ich. »Hast du nicht
sonst noch jemanden?«
    »Nein, ich hatte nur
Mama.«
    »Warum willst du nach Shelburne?«
    »Ich brauch Essen und
Arbeit, und einen Platz zum Schlafen. Meine Mama iss tot, und unsere Hütte iss
zu kaputt, um noch drin zu wohnen.«
    »Diese Männer bringen
dich um, wenn du zurück nach Birchtown gehst. Komm mit mir, und wir sehen, was
es in der Stadt gibt.«
    Wir gingen gemeinsam
weiter.
    »Die ganze Zeit in
Birchtown hass du nie was davon gesagt, wie du mich ins Buch der Neger eingetragen hass.«
    »Gott«, sagte ich,
»habe ich dich auch eingetragen? Es tut mir leid, Jason, ich war auf so vielen
Schiffen und habe so viele Namen aufgeschrieben, dass ich einige von ihnen
vergessen habe.«
    »Ich hab den ganzen Tag
Schlange gestanden, und alle Farbigen wussten, wer du wars’. Diese kleine,
schnell redende afrikanische Frau, die die Namen der Hälfte aller Neger von
Manhattan aufschrieb. Du kanntest uns nicht alle, aber wir haben dich geliebt.«
    »Das habt ihr?«
    »Weil du dich um uns
gekümmert hass.«
    »Und du sagst, ich habe
dich ins Buch der Neger eingetragen?«
    »Das hass du, Missus.«
    »Was habe ich
geschrieben?«
    »Weiß ich nicht,
Missus. Ich konnt’s nich lesen und kann’s auch heute nich.«
    »Warum bist du nicht in
meinen Unterricht gekommen?«
    »Ich bin schon
neunzehn«, sagte er. »Da iss es zu spät.«
    »Es ist nie zu spät«,
sagte ich.
    Wir kamen nach
Shelburne. Das Schiff war wieder weg, und Jason ging einen Mann suchen, der ihm
früher schon Arbeit gegeben hatte. Ich bog in die Charlotte Street.
    Auf mein Klopfen an der
Tür der Witherspoons rührte sich nichts. Ich klopfte wieder. Ich probierte, ob
die Tür auf war. Sie gab nicht nach. Ich ging von Fenster zu Fenster, zum
Holzschuppen, zum Brunnen, zur Hintertür, konnte aber kein Zeichen von Leben
oder Leuten im Haus entdecken. Ich schlug erneut gegen die Tür, bis die Frau im
Haus nebenan den Kopf aus der Tür reckte und fragte, was verdammt noch mal ich
da mache.
    »Ich will meine Tochter
holen, aber es ist niemand zu Hause!«
    »Würdest du dich
vielleicht beruhigen?«, zischte die Frau. »Hat es denn in letzter Zeit nicht
genug Ärger gegeben?«
    »Die Witherspoons haben
meine Tochter, aber es ist niemand zu Hause. Wissen Sie, wo sie sind?«
    »Himmel, Frau, sei doch
leise.«
    Ich versuchte mich zu
beherrschen. Vielleicht, wenn ich meinen Atem kontrollierte, würde mir die Frau
sagen, was sie wusste. »Wo«,

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