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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Reise
registrieren ließen, jeden möglichen Einwand und jeden nur denkbaren Begriff
für die Menschen aus meinem Heimatland. Die Leute nannten uns Äthiopier,
Farbige und »die von der Säbelrasse«. Sie nannten unser Land Sierra Leone,
Serra Lyoa, Negritia, Negerland, Guinea und den »dunklen Kontinent«. Und wir
waren »undankbar«, weil wir Neuschottland verlassen wollten. Da sie wussten,
dass Sklaven, Vertragsknechte und Verschuldete nicht mit Clarkson ausreisen
durften, warfen sie etlichen von uns vor, Schulden zu haben oder einen Kontrakt
eingegangen zu sein. So musste ich nicht nur dafür sorgen, dass alle Bewohner
Birchtowns, die nach Afrika wollten, sich im Water’s Edge Inn registrieren
ließen, sondern meine Aufgabe bestand auch darin, Beweise gegen falsche
Anschuldigungen zu finden.
    Obwohl wir uns mit
unserer Arbeit beeilen mussten, hatte Clarkson immer die Zeit, mich zu fragen,
ob ich etwas bräuchte, Essen, Trinken, Tinte oder neue Schreibfedern. Wenn ich
müde war, sagte er, es gehe ihm genauso, und wenn wir am Ende eines langen
Tages ein paar Minuten hatten, um etwas zu essen, unterhielt er mich damit,
einige der Leute nachzuahmen, mit denen wir es tagsüber zu tun gehabt hatten.
Clarkson konnte jeden erdenklichen Akzent nachmachen, war am Ende aber äußerst
ernst, was seine Aufgabe betraf, und ich mochte es, dass er mir seine
Wertschätzung für meine Hilfe zeigte.
    Die Abende und Nächte
mit Clarkson waren aber dennoch schwierig. Ich weiß nicht, wie er seine
Seeschlachten überlebt hatte, ohne den Verstand zu verlieren. Die kleinste
Beleidigung oder Provokation erregte seinen Zorn, der für den Rest des Tages
und der Nacht in ihm gärte und ihn entweder nicht schlafen ließ oder in
Albträume stürzte. Die Wände des Water’s Edge Inn waren dünn wie Papier, und
Nacht für Nacht wurde ich von seinen Schreien geweckt. »Nein!« , rief
er zum Beispiel. »Ich sage, lasst sie sofort gehen!« Ich begriff allerdings schnell, dass es
sich dabei nur um nächtliche Ängste handelte. Auch mir waren Albträume nicht
unbekannt, und ich gab nicht zu viel darauf.
    Beim Tee am nächsten
Morgen klopfte er auf den Tisch, bat mich, ihn abends daran zu erinnern, dass
er seiner Verlobten einen Brief schreiben wollte, und schimpfte wegen der
Neger, die daran gehindert wurden, nach Afrika aufzubrechen. Als ein
Gasthausbesitzer behauptete, ein Neger schulde ihm noch fünf Pfund für Bier und
Fisch, bezahlte Clarkson die Schuld aus der eigenen Tasche und warnte den
Abenteurer davor, während der letzten Tage in Neuschottland wieder ein Gasthaus
zu betreten. Clarkson standen die Sorgen ins Gesicht geschrieben, und manchmal
wurden sie zu Tränen, wenn wir über die noch unerledigten Aufgaben sprachen.
Aber weder Clarksons Tränen bei Tage noch seine Ausbrüche bei Nacht änderten
etwas an seiner Arbeitswut. Ich bewunderte ihn für seine Ausdauer angesichts
seiner inneren Kämpfe und schwor mir, ihn so gut es ging zu unterstützen.
    Als die Registrierung
in Shelburne beendet war, erklärte Clarkson den sechshundert Abenteurern, die
für die Reise nach Afrika angenommen worden waren, er werde Schiffe aus Halifax
schicken, um sie abzuholen. Und nachdem ich Daddy Moses und Theo McArdle dazu verpflichtet
hatte, nach Chekura und May Ausschau zu halten, fuhr ich mit ihm voraus.
    Auf der Fahrt nach
Halifax hatte ich meine eigene Kabine, und ich verspürte eine seltsame
Erleichterung, als ich den Ort verließ, an dem ich die letzten acht Jahre
verbracht hatte. Nachts hatte ich ausreichend Muße zum Nachdenken und begriff,
dass gute Weiße in dieser Welt kaum lange bei Verstand bleiben konnten. Jeder
von ihnen, der den Negern dabei helfen wollte, »sich selbst zu erheben«, wie
Clarkson es so gerne nannte, machte sich unter seinesgleichen unbeliebt. Ich
hoffte nur, dass sich Clarkson seinen Verstand und seine Fähigkeiten noch lange
genug erhalten konnte, um seine Mission zu erfüllen und die Abenteurer sicher
nach Afrika zu bringen. Es schien nicht natürlich.
    Halifax war
noch eine junge Stadt, als ich 1791 dort ankam, und es war längst nicht so
schön und so sorgfältig geplant wie Shelburne. Ihm fehlten die Lagerhäuser und
öffentlichen Gebäude, die die Schwarzen aus Birchtown in Shelburne errichtet
hatten, aber dafür war es ein weit sanftmütigerer Ort und viel weniger
bedrohlich für Neger.
    Ich bekam ein Zimmer im
King’s Inn, das zwischen ein paar wackligen Holzhäusern an einer geschäftigen
Straße am Wasser

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