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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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und zeigten nichts, was ich nicht
bereits kannte. Ich fand die Pfefferküste, die Goldküste und die Sklavenküste,
und darüber hinaus einige der größeren Häfen wie Bonny und Elmina, der mich an
meinen eigenen Namen erinnerte. Endlich zog ich die neueste Afrikakarte hervor,
die ich je gesehen hatte. Sie stammte von 1789 und war in London gedruckt
worden. Wieder sah ich die gewohnten Sklavenhäfen wie Wydah und Elmina, aber
ein ganzes Stück weiter nordwestlich war noch einer eingezeichnet, Bance
Island, und ich erinnerte mich, dass William King, der Sklavenhändler in
Süd-Carolina, gesagt hatte, ich sei auf Bance Island verschifft worden. Es ließ
sich nicht sagen, ob Bance Island zu einem bestimmten Land gehörte, aber die
Worte »Sierra Leone« standen nur etwas südöstlich davon. Ich studierte die
Karte genauer. Obwohl es auch auf ihr wieder die typischen nackten Frauen mit
Kindern auf dem Rücken gab, dazu Affen und Elefanten, besonders in der
sogenannten »Zarra oder Wüste von Barbary«, fand ich neben den Häfen an der
Küste auch einige Orte landeinwärts. Ich erinnerte mich, wie mir mein Vater
versprochen hatte, mich eines Tages mit nach Ségou zu nehmen. Die Stadt hatte
rund vier Tagesmärsche von unserem Dorf entfernt liegen sollen, und jetzt sah ich
den Namen etwa vier Zoll nördlich von Bance Island. Ich fragte mich, was vier
Zoll wohl in Wirklichkeit waren, als John Clarkson zurück in den Raum kam.
    »Könnten wir uns einen
Moment setzen?«, fragte er. »Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.«
    Ich setzte mich ihm
gegenüber und erwartete, dass es um die verbliebenen Arbeiten ging.
    »Sie hatten mich
gebeten, nach dem Schiff Ihres Mannes zu fragen«, sagte Clarkson. »Nach der Joseph , die
von New York in See stach, als Sie evakuiert wurden.«
    »Ja, richtig.« Ich
legte die Hände zusammen, ließ das Kinn auf die Daumen sinken und drückte mit
den Zeigefingern gegen die Nasenwände.
    Clarkson räusperte
sich. »Das Schiff ist untergegangen. Ich habe mit der Marineverwaltung
gesprochen«, sagte er und hustete. »Sie haben ein Büro ein Stück die Straße
hinunter. Passagierlisten, Ladungsverzeichnisse, Logbücher, sie bewahren da
alles auf.«
    Ich konnte mich nicht
bewegen und nichts sagen.
    »Die Joseph ist
untergegangen«, sagte er wieder. »Ein Sturm hat sie vom Kurs abgebracht und
fast bis nach Bermuda geblasen, und dort ist sie gesunken. Alle an Bord sind
ertrunken. Der Kapitän, die Mannschaft und weiße wie schwarze Loyalisten. Es
tut mir so leid. Aber Sie wollten, dass ich Nachforschungen anstelle.«
    »Wann haben Sie es
erfahren?«, fragte ich.
    »Heute.«
    John Clarkson streckte
den Arm aus, um mir die Hand auf die Schulter zu legen, aber ich fuhr zurück
und lief aus dem Haus. Ich wollte weder angesehen noch berührt werden. Ich
wollte mit der Nachricht allein sein. Chekura . Mein Mann. Nach einer so langen Reise.
Auf dem Schiff umgekommen, auf dem auch ich hätte sein sollen.
    Ich fragte mich, wie es
zu dem Untergang gekommen war. Vielleicht war das Schiff von einem Blitz
getroffen worden und in der aufgewühlten See gekentert. War mein Mann schnell
gestorben, oder hatte er die Zeit gehabt, an mich zu denken, bevor das Wasser
seinen Körper verschluckte? Ich tröstete mich mit der Vorstellung, dass er
wahrscheinlich versucht hatte, einem anderen zu helfen. Vielleicht hatte er ein
Kind gehalten. So viele Afrikaner waren auf dem Meer umgekommen, und noch mal
mehr auf dem Weg zu und von den Sklavenschiffen. Und jetzt …
    So viele Male hätte ich
sterben können, und doch lebte ich noch und befand mich auf der Schwelle zu
einer weiteren Reise über das Wasser. Auf die erste war ich unfreiwillig
gegangen. Zu dieser jetzt konnte ich mich frei entscheiden. Chekura war tot.
Mamadu war tot. May seit fünf Jahren verschwunden. Wenn sie noch lebte,
erinnerte sie sich wahrscheinlich nicht an mich und kam ganz sicher nicht
zurück zu mir. Ich vermisste alle drei so schrecklich, dass ich das Gefühl
hatte, mein halber Körper fehle mir.
    Ich verbrachte einen
Morgen in meinem Zimmer im King’s Inn und leerte meine Trauer in das Kissen
meines Bettes. Dann ging ich zurück, um John Clarkson zu helfen. Ich wollte
das, was von meinem Körper und meinem Geist noch da war, nehmen und damit am
Auszug nach Afrika teilnehmen. In Neuschottland hielt mich nichts mehr.
Unversehens stellte ich mir vor, dass May nach Shelburne kam und nach mir
fragte, und die Vorstellung nahm mir den Atem. Ich versuchte mich

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