Ich habe einen Namen: Roman
größer als zwanzig Männer, und der Mann kletterte immer weiter.
Ich wollte, dass er
wieder herunterkam. Ich betete, dass er sich besann. Vielleicht war auch seine
Frau tot. Aber falls er eines Tages freikommen sollte, fand er vielleicht eine
neue Frau und bekam wieder eine Tochter. Ich stand auf, starrte zu ihm hinüber
und hoffte. Einer der Fänger sah mich und brüllte den Vater an, herunterzukommen.
Der Mann kletterte weiter. Die Gefangenen wachten von dem Geschrei auf, sahen,
was geschah, und bewegten sich in Paaren, wie sie zusammengebunden waren, von
dem Baum weg. Oben angekommen, schob sich der Vater bis ganz nach außen auf
einen Ast, heulte ein letztes Mal und fiel mit erstaunlicher Geschwindigkeit
durch die Luft. Noch nie hatte ich einen Körper aus so großer Höhe fallen
sehen. Ich wandte mich ab, um ihn nicht auf den Boden auftreffen zu sehen. Aber
ich hörte den Schlag und spürte die Erschütterung unter den Füßen. Unsere
Fänger weigerten sich, ihn zu seiner Tochter zu bringen, ihn zu begraben oder
seinen Körper auch nur zu berühren. Sie wollten diesen Akt der Selbstzerstörung
nicht anerkennen. Auf ihren Befehl hin zogen wir ein Stück weiter und ließen
uns unter einer anderen Baumgruppe nieder, die weit von den Leichen des Vaters
und seines Kindes entfernt lag.
Unsere Reise
über Land dauerte drei ganze Mondzyklen. Eines Tages hielten unsere Fänger an
einer Weggabelung an und begrüßten eine neue Sorte Mensch. Mit gesprenkelter
Haut, wie die von einem gewaschenen Schwein. Eingefallenen Lippen und
geschwärzten Zähnen. Aber kräftig und groß, wie ein Häuptling stand er da, die
Brust herausgedrückt. Das also war ein Toubab! Die Augen meiner Mitgefangenen
wurden größer, als sie diesen seltsamen Mann sahen, nur die Dorfbewohner auf
dem Weg beachteten ihn nicht weiter. Sie kannten die Toubabu sicher schon. Der
Mann ging mit unseren Fängern an der Spitze des Zuges. Er war hager, hatte
einen Bart, sehr schmale Lippen und eine Kruste um die Augen. Offenbar kannte
er ein paar Worte in der Sprache unserer Fänger.
Ich fing Chekuras Blick
auf, und als er an meine Seite kam, fragte ich ihn: »Woher kommt der Toubab?«
»Von der anderen Seite
des großen Wassers«, sagte Chekura.
»Ist er ein Mensch oder
ein böser Geist?«
»Ein Mensch«, sagte
Chekura. »Aber keiner, den du kennen möchtest.«
»Kennst du ihn?«
»Nein, aber ich will
auch keinen Toubab kennen.«
»Mein Papa hat gesagt,
fürchte dich vor niemandem, sondern lerne ihn kennen.«
»Fürchte dich vor dem
Toubab.«
»Er hat viele Haare.«
»Einem Toubab ins
Gesicht zu sehen, ist ein Zeichen der Missachtung.«
»Chekura! Ihm wachsen
sogar Haare aus der Nase.«
»Geh vorsichtig,
Aminata.«
»Bist du mein Fänger
oder mein Bruder?«
Chekura schüttelte den
Kopf und sagte nichts mehr. Ich hatte gehört, die Toubabu seien weiß, aber das
stimmte nicht. Der hier hatte ganz und gar nicht die Farbe eines
Elefantenzahnes, eher die von Sand, und die Arme waren dunkler als der Hals. So
dickknochige Handgelenke hatte ich noch nie gesehen. Dafür hatte er kaum einen
Hintern und ging wie ein Elefant. Rumms, rumms, rumms. Seine Fersen trafen mit
der Grobheit eines umstürzenden Baumes auf die Erde auf. Der Toubab war nicht
barfuß wie wir Gefangenen und hatte auch keine Antilopenledersandalen wie die
Fänger, sondern dicke, schwere Schuhe, die ihm bis zu den Waden reichten.
Im Übrigen trug er eine
Kette um den Hals und ein gläsernes Ding am Ledergürtel um seinen Leib, das er
immer wieder betrachtete. Jetzt rief er etwas und machte wütende Gesten zu
unseren vorangehenden zwei Fängern hin. Unter seiner Aufsicht wurden auch die
Frauen und ich wieder zusammengebunden. Fanta ging direkt vor mir. Das eine
Ende der hölzernen Stange mit der Gabel wurde fest um ihren Hals gebunden, das
andere mit einer Schlinge an meinen. Die Schlinge war nicht loszubekommen, und
wenn ich zu sehr daran zog und rüttelte, rieb ich mir nur die Haut darunter
wund.
Etwas später brachten
unsere Fänger unter den Augen des Toubab drei weitere Gefangene heran. Eine
Frau wurde zu uns geführt. Sie hatte einen mächtig geschwollenen Leib, stand
kurz vor der Niederkunft und kam zwischen Fanta und mich. Das war nicht
schlecht. Fanta beklagte sich ständig, was die Tage nur noch länger machte, und
die neue Frau war kleiner, eher so groß wie ich, und mit ihr zusammengebunden
zu sein, machte das Gehen leichter. Abends, als wir unter einem Baum ausruhten,
legte
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