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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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seit einem ganzen Mond an Bord. Täglich starben ein oder zwei Gefangene,
ohne dass ihnen irgendeine Achtung erwiesen worden wäre. Das Geräusch, wenn ein
Mann oder eine Frau ins Wasser schlug, entsetzte mich jedes Mal mehr und
beleidigte die Geister der Toten. Das war, so empfand ich es, noch schlimmer
als das Töten. Aber so sehr mir davor graute, lauschte ich doch auf das
Platschen, und das Schlimmste überhaupt war, wenn ich es nicht hörte. Ein stummes
Eintauchen bedeutete für mich, dass die Toten in der Vergessenheit versanken.
Nachts träumte ich, dass Menschen vom Rand Bayos in die Tiefe stürzten, ohne
Vorwarnung und ohne Geräusch, als liefen sie mit verbundenen Augen hinein ins
Leere.
    Toubabu-Seeleute
starben auch. Ich sah sie, krank und die letzten Kräfte verlierend, wenn ich
dem Medizinmann auf seinen Runden folgte. Ihnen verfaulte das Zahnfleisch, oder
es wucherte wild, die Haut war voller schwarzer Flecken und offener Wunden, die
fürchterlich stanken. Wenn ein Toubabu-Anführer starb, wurde er mit Kleidern
über Bord geworfen, die einfachen Seeleute wurden ausgezogen und den Haien
überlassen, die uns wie Wassergeier folgten. Die Seeleute warfen täglich allen
möglichen Abfall ins Meer, eimerweise Exkremente, kaputte Fässer mit
verrottetem Essen und aufgeblähte Ratten. Trotzdem, sobald ich es platschen
hörte, fürchtete ich das Schlimmste.
    Kinder in meinem Alter
gab es sonst keine an Bord. Da war niemand, mit dem ich hätte spielen können.
Neben den paar Babys gab es nur Männer und Frauen. Ich hatte Glück, nicht bei
den anderen im Bauch des Schiffes sein zu müssen, aber so oft wusste ich nicht,
was ich anfangen sollte. Allein in der Kabine des Medizinmannes schlief ich
manchmal, damit die Zeit herumging. Oder ich unterhielt mich damit, den Papagei
mit Erdnüssen zu bewerfen und ihm Sätze auf Fulfulde beizubringen wie: Die Toubabu werden dafür bezahlen . Und ich stellte mir Gespräche meiner Eltern vor. Sie stritten sich
wegen mir. Sie soll bei den Frauen schlafen. – Nein,
das soll sie nicht, es ist besser, sie bei dem Toubab zu lassen, denn er ist
harmlos. – Harmlos? Ist das harmlos, was er nachts mit den Frauen macht? Wenn mir diese Art Streit zu viel
wurde, brachte ich das Gespräch auf zu Hause. Du
verbringst viel zu viel Zeit mit deinen Besuchen bei Frauen in anderen Dörfern
und hast nicht genug Hirse gesät. Die Frauen hier beschweren sich, wenn du dich
weigerst, mit ihnen auf die Felder zu gehen. – Ich mache da keine Besuche. Ich
hole Babys auf die Welt, und dafür bringe ich Hühner, Töpfe und Messer nach
Hause. Einmal war es sogar eine Ziege. Mir sind deine dummen Frauen auf den
Feldern egal. Säen sie da draußen Hühner? Oder gar Ziegen?
    Eines Abends oben auf
Deck sagte Fanta, ihr Leib beginne sich zu verkrampfen und sie sei bereit, ihr
Baby zu bekommen. Ich gab Chekura ein Zeichen, der gerade mit den anderen
Männern zurück nach unten gebracht wurde. Er nickte, als er sah, wie ich auf
Fanta deutete, die Hände zusammenlegte und sie vor meinem Leib nach unten stieß.
    Ich wanderte täglich
zwischen dem Deck und der Kabine des Medizinmannes hin und her, und niemand
traute sich, mich aufzuhalten, denn ich gehörte ihm. Diesmal nahm ich Fanta
mit. Es war das erste Mal, dass sie in den Bereich der Toubabu kam. Sie sah den
Kochtopf für die Anführer und sagte: »Wir sollten sie umbringen, bevor sie uns
alle da drin kochen.«
    Ich bedeckte das Bett
des Medizinmannes mit zusätzlichen Tüchern und holte einen Eimer Wasser. Ich
hoffte, die Geburt würde schnell gehen.
    »Ich könnte die ganze
Nacht hier sein, wenn sich das Baby nicht beeilt«, sagte Fanta. »Und ich werde
die Nacht nicht bei einem Toubab im Bett verbringen. Eher sterbe ich. Oder er.«
    Ich legte ihr die Hand
auf die Schulter und sagte, sie solle an das Baby denken. Sie grunzte.
    »Das ist mir schon seit
Langem egal. Kein Toubab wird diesem Baby antun, was sie uns angetan haben.«
Ein Schauder fuhr mir durch den Körper.
    Ich musste einen Moment
lang von Fanta weg. Ich musste mich sammeln, und so tat ich, was mir der
Medizinmann einmal gezeigt hatte. Ich nahm den großen metallenen Waschzuber,
ging hinaus und bedeutete dem jungen Toubab am Kochfeuer, zwei rotglühende
Eisenstücke hineinzuwerfen. Als ich damit zurück in die Kabine kam, zeigte
Fanta mit offenem Mund auf den Vogel. Der Papagei kreischte sie an. Ich gab ihm
ein paar Erdnüsse und hängte das Tuch über den Käfig, damit er Ruhe gab.
    »Gib dem

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