Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
Vom Netzwerk:
ausreißen. Ich wollte schreien, laut schreien,
dass sie eine Lügnerin sei und meine Eltern mich niemals dem alten Kerl gegeben
hätten. Auch wenn er der Häuptling war. Aber ich wusste, ich konnte ihr nicht
wehtun und ich konnte nicht schreien. Meine Mutter hatte mich gut angelernt.
Wenn du ein Baby zur Welt bringst, bleibst du ruhig. Die Mutter kann sich wie
eine Tyrannin oder ein wildes Kind verhalten, aber du nicht. Wenn du ein Baby
zur Welt bringst, bist du nicht du selbst. Du vergisst dich und hilfst der
anderen. Ich würgte. Ich schluckte. Ich fragte mich, ob das, was Fanta gesagt
hatte, stimmte. Während der drei Monde langen Wanderung über Land und der Zeit
auf dem stinkenden Toubabu-Schiff, die auch schon länger als einen Mond währte,
hatte sich eine Traurigkeit in mir gesammelt, die sich mit einem Mal Bahn
brach. Tränen schossen mir aus den Augen, und mein Atem wurde schneller. Ich
würgte und schluchzte und stand hilflos da, während Fanta in ihrem Bett lag,
mich ansah und wartete. Ein paar Momente lang bebte ich fürchterlich, die Füße
fest unter mir, die Augen zugekniffen, die Fäuste geballt. Ich schwankte und
schaukelte und beruhigte mich endlich wieder. Mir blieb nichts, als mich an
Gott zu wenden. Allahu Akbar , murmelte ich, was ich lange nicht mehr
getan hatte. Gott ist groß.
    »Verschwende deine Zeit
nicht länger mit Allah«, sagte Fanta. »Siehst du nicht, dass er nicht
existiert? Die Toubabu bestimmen, was geschieht, und es herrscht nichts als
Wahnsinn.«
    Vielleicht hatte sie
recht. Vielleicht lebte Allah nur in meiner Heimat, bei den Heimatländern.
Vielleicht gab es ihn auf dem Toubabu-Schiff nicht, und auch nicht im
Toubabu-Land. Ich sagte nichts. Ich versuchte, alles, was Fanta gesagt hatte,
in ein kleines Zimmer in meinem Kopf zu quetschen und die Tür zuzudrücken, und
rief mir die ruhige, tüchtige Stimme meiner Mutter in Erinnerung: Wir müssen
ein Baby zur Welt bringen.
    Fantas Leib fing erneut
an zu beben. Ich bot ihr an, mit der Hand zu fühlen, ob sie bereits so weit
war, aber sie wollte es nicht. Die Wehen kamen mit Macht und immer öfter und
länger, und ich überließ es Fanta, wann sie zu pressen beginnen wollte. Ich
würde sie nicht anleiten. Ich würde ihr Wasser anbieten, ihre Hand halten und
der Frau des Häuptlings die Entscheidung überlassen, was sie als Nächstes tun
wollte.
    Sie presste lange Zeit,
legte sich zurück und ruhte sich aus. Etwas schien ihren Körper zu ergreifen,
und sie presste erneut. Ruhte sich wieder aus. Und dann presste sie mit solcher
Kraft, dass ich sehen konnte, wie sich ihr Inneres bewegte. »Jetzt«, sagte
Fanta. Sie drückte noch dreimal. Ich sah Haare auf einem Kopf, der sie öffnete,
aber das Baby kam noch nicht heraus. Sie presste ein weiteres Mal, und endlich
kam der ganze Kopf, blau, lila und hell, mit weißlichem Schleim und Blut
bedeckt. Fanta presste, und die Schultern erschienen. Der Rest kam schnell: ein
Bauch, sein Geschlecht, Beine, Füße. Ich schnitt die Nabelschnur mit dem Messer
des Toubab durch, wickelte das Baby ein und gab es seiner Mutter. Das Baby
schrie, und Fanta ließ es lange brüllen, bis sie es nach ihrer Brustwarze
suchen ließ. Sie war keine stolze, sondern eine wütende Mutter. Ich versuchte
es ihr im Bett bequem zu machen, aber sie stieß mich weg.
    Ich wandte mich ab und
hockte mich auf den Eimer, um mich zu entleeren. Das Baby fing wieder an zu
schreien, und ich drehte mich um und sah Fanta, die unsicher vor dem Vogelkäfig
stand. Sie zog das Tuch herunter, öffnete die Klappe und packte den Vogel beim
Schnabel. Seine Krallen flogen hoch und versuchten sie zu kratzen. Sie fluchte,
ließ aber nicht los.
    »Hör auf!«, rief ich.
    Fanta hörte mich nicht.
Sie hielt das Messer des Medizinmannes in der Hand und stach wieder und wieder
auf den Vogel ein, bis die Krallen aufhörten zu kratzen und der Körper nicht
mehr zuckte. Den leblosen Klumpen warf sie zurück durch die Klappe, machte sie
zu und breitete das Tuch über den Käfig. Dann nahm sie ihr schreiendes Baby und
drückte es an ihre Brustwarze. Am Ende schliefen die beiden ein, aber ich blieb
wach, voller Angst vor dem, was passieren würde, wenn der Medizinmann kam und
das Tuch vom Vogelkäfig zog. Aber das kleine Fenster wurde hell, ohne dass er
aufgetaucht wäre.
    Ich weckte Fanta, und
wir gingen an Deck. Der Tag brach gerade an. Ein blasser Mond hing tief am
Himmel, während sich ihm gegenüber der obere Rand des Feuerballs über den
Horizont

Weitere Kostenlose Bücher