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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Chekura, Fanta und Sanu heimlich
an Deck. Einmal brachte ich Chekura eine Orange, und er riss sie auf, saugte
allen Saft und alles Fleisch heraus und warf die Schale über Bord. Sein Gesicht
war voller Saft und Fruchtfleisch, und er sah aus wie ein Kind, das gerade mit
den eigenen Händen zu essen lernte, aber das war ihm egal. Er wollte mir
unbedingt etwas erzählen.
    »Fomba kann vielleicht
nicht sprechen, aber er weiß mit seinen Händen umzugehen.«
    »Was hat er gemacht?«
    »Unten in unserem Raum
hat er einen Nagel hervorgezogen und seine Schelle damit geöffnet. Biton hielt
es für Zufall, aber Fomba hat es ihm wieder und wieder vorgemacht. Biton hat es
auch versucht, aber nicht geschafft. Die ganze Nacht hat er es probiert, ohne
Erfolg. Rief nach Fomba, und der hat sie ihm in einer Sekunde geöffnet.«
    Bevor die
Gefangenen an diesem Nachmittag an Deck ihr Essen bekamen, tauchte der
Toubab-Häuptling mit einem abgegessenen Hühnergerippe auf, das er mitten
zwischen die Männer warf. Die schlugen sich um die Überbleibsel, lutschten und
saugten an den Stücken, die sie ergattert hatten, fieselten noch die letzte
Faser Fleisch herunter und zerbissen die Knochen, um das Mark herauszusaugen.
Gleich darauf flog noch ein Hühnergerippe auf Deck, und das Gerangel ging von
Neuem los. Die Seeleute wussten sich vor Lachen kaum zu halten und warfen ein
drittes Gerippe ins Getümmel.
    Biton war unter den
Gefangenen an Deck. Ich hörte ihn ein paar Befehle rufen und sah, wie die
Männer zurücktraten und das Gerippe nicht anfassten. Biton hob es auf und warf
es dem Toubab-Häuptling vor die Füße.
    »Ihr traut euch nicht,
mich zu töten«, rief Biton. »Ich bin zu viel wert.«
    Die Toubabu hatten
keine Ahnung, was er gesagt hatte, peitschten ihn aber dennoch aus. Zehn Hiebe
auf den Rücken. Ich sah zu, wie sich der erste Peitschenhieb in sein Fleisch
grub, und ging in die Kabine des Medizinmannes. Ich konnte es nicht ertragen zu
sehen, wie Biton geschlagen wurde.
    Am nächsten Tag war er
zurück an Deck, ging etwas steif, aber ohne Klage. Von diesem Tag an war er der
unangefochtene Anführer der Gefangenen.
    Die
Heimatländer hassten nichts mehr, als über die Peitsche tanzen zu müssen, die
der Helfer übers Deck kreisen ließ. Eines Tages, als der Helfer krank war, ging
die Peitsche an einen der Seeleute. Ich fing an zu singen, als wir tanzten, und
nannte die Namen aller, die ich sah. Jedem einzelnen Gesicht versuchte ich
einen Namen zu geben und dazu noch zu sagen, aus welchem Dorf sein Besitzer
kam. Ich kannte schon einige.
    »Biton«, begann ich,
»aus Sama.«
    »Chekura«, sang ich,
»aus Kinta. Und Isa aus Sirakoro. Ngolo aus Jelibugu. Fanta aus Bayo.« Die
Laune der Heimatländer hob sich ein wenig. Wenn ich einen Namen sang, klatschte
der jeweilige Mann oder die Frau in die Hände, um zu bestätigen, dass ich
keinen Fehler gemacht hatte, worauf alle übrigen den Namen noch einmal riefen.
Wenn ich einen Namen nicht ganz richtig sang oder nicht wusste, klatschte
derjenige oder diejenige zweimal in die Hände, tanzte neben mich und sang den
eigenen Namen und den des Heimatdorfes. Alle machten mit, und auch wenn wir
später wieder tanzen mussten, wechselten sich die Gefangenen dabei ab, die
Namen und Heimatorte der Leute um sich herum zu singen. Einige kannten bis zu
fünfzehn Namen und Dörfer, und an manchen Tagen wusste ich so gut wie alle
Namen der Gefangenen, die ich sah.
    Biton ließ uns das
Namensspiel so inbrünstig singen und tanzen, dass die Toubabu herbeikamen, um
uns zu bewundern. Die Toubabu stellten sich in ihrer natürlichen Ordnung auf.
Ihr Häuptling stand vorn, dann kamen der Zweitoberste, der Medizinmann und die
anderen Anführer, dahinter die normalen Toubabu. Biton tanzte selbst und sang
so laut, dass ihn alle hören konnten.
    Er fing an mit einer
Frage, die er wie ein Lied klingen ließ: »Ist der Helfer der Toubabu hier?
Bitte sagt es mir, meine Freunde.« »Nein«, sang jemand darauf als Antwort, »der
Helfer ist nicht hier.« »Seht euch noch einmal um, meine Freunde, um sicher zu
sein«, rief er aus. Und als er hörte, dass der Helfer tatsächlich nicht da war,
tanzte Biton etwas schneller und sang: »Der mit den Haaren nur am Kinn ist der
zweite Häuptling. Der fährt das Schiff. Der wird leben. Und der andere da mit
dem Bauch so dick wie eine Frau, die ein Baby bekommt, ist der oberste
Häuptling der Toubabu, und er wird sterben. Aber erst warten wir auf Fantas
Baby.«
    Wir waren
jetzt

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