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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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eine lange rosa Straße auf das ruhige
Wasser. Wir segelten beständig auf das lockende Rosa zu, das so nahe schien und
doch unerreichbar war. Kommt hierher , schien es zu sagen. Weit vor uns in
Richtung Sonne konnte ich etwas Graues, Festes erkennen. Es war kaum
auszumachen, aber zweifellos da. Wir bewegten uns auf Land zu.
    Als sie uns am nächsten
Morgen zurück an Deck brachten, konnte ich es wieder sehen. Es war jetzt viel
näher. Land. Mit Bäumen. Eine Küste. Und noch vor dieser Küste lag eine kleine
Insel, die ich gut erkennen konnte. Ohne Bäume, sondern sandig und mit einer
mächtigen, eckigen Umzäunung. Dahin steuerten wir. Sie befreiten uns von
unseren Ketten. Chekura trat an meine Seite, er hatte kaum mehr Fleisch an sich
als ein abgenagter Knochen.
    »Es tut mir leid,
Aminata.«
    »Wir haben unsere
Heimat verloren«, sagte ich. »Wir haben unser Volk verloren.«
    »Es tut mir leid, dass
ich dir das angetan habe.«
    Ich sah Chekura
verständnislos an. Dass er einmal für die Menschenfänger gearbeitet hatte, war
das Letzte, was mir im Kopf herumging. »Mir ist kalt, und ich kann nicht einmal
beten. Allah gibt es hier nicht.«
    »Wir leben noch,
Aminata aus Bayo«, sagte Chekura. »Wir haben das Wasser überquert, und wir
leben noch.«
    Und so kam es, dass
dieses Schiff, das uns vor der Küste unserer Heimat so in Schrecken versetzt
hatte, wenigstens einige von uns davor bewahrte, in der Tiefe zu versinken.
Wir, die Überlebenden dieser Reise, klammerten uns an die Bestie, die uns
gestohlen hatte. Nicht einer von uns hatte auf dieses Schiff gewollt, aber als
wir erst einmal auf offener See gewesen waren, hatten wir uns daran
festgehalten, um unser Leben zu retten. Das Schiff war zu einer Verlängerung
unserer eigenen, verfaulenden Körper geworden. Alle, die von der Bestie
abgeworfen wurden, sanken ihrem Tod entgegen, und wir, die wir darauf
verblieben, welkten weiter dahin, die Leiber voller Gift, das an unseren Bäuchen
und Innereien fraß. Wir blieben auf der Bestie, bis sich unseren Füßen neues
Land bot, und stolperten die lange Planke herunter, bevor das Gift unser Leben
vernichtete. Vielleicht würden wir in diesem neuen Land ja weiterleben.

BUCH ZWEI

Und meine Geschichte wartet wie ein ruhiges Tier
    {London, 1803}
    Als ich noch
ein kleines Kind war, erzählte mir Papa immer, dass die Worte den Menschen auf
wilden Winden aus dem Mund flögen. Wenn die Winde stärker werden, sagte er,
bläst dir Sand in die Ohren und beißt dir in die Augen. Stürme bilden sich über
uns wie ein See mit einem Ausguss, aber das kannst du nicht sehen oder hören.
Nur wenn du sicher geborgen bist, sagte Papa, kannst du sagen, aus welcher
Richtung der Wind kommt. Nur aus der Ruhe heraus, sagte er, kannst du dich vor
Ungemach schützen.
    Jetzt bin ich in London
und erhole mich gerade etwas von zwölf Männern und ihren wirbelnden Worten. Ich
sitze allein in einem Raum und gebe einen Löffel Bienenhonig in meinen heißen
Tee. Ein Stück den Flur hinunter kann ich das Lachen des obersten
Abolitionisten hören. Der zieht sich immer wieder die Perücke vom Kopf, um sich
den Schädel zu kratzen. Groß ist er nicht, steht aber aufrecht da wie ein
Ausrufezeichen. Mir gegenüber muss er sich beflissen geben und streckt die Arme
weit von sich weg, als wollte er mich mit seinem dicken Bauch trösten. Er heißt
Sir Stanley Hastings, aber für mich ist er der »fröhliche« Abolitionist. Mit
seiner melodischen, leidenschaftlichen Stimme hat er mir erklärt, dass seine
Frau und seine Kinder gelobt haben, keinen Zucker mehr in ihren Tee zu geben.
So Gott will, sagt er, werde keiner in seiner Familie mehr Sklavenblut trinken.
Er sagt, was wir wirklich bräuchten und was den Handel damit sofort stoppen
würde, wäre eine Erfindung, die alle Zuckerprodukte rot färben würde. Dabei
gestikuliert er wie ein Mann auf einer Kanzel. Lasst die Farbe des Blutes jede
Tasse Tee dieses Volkes verderben, sagt er, und unsere Schlacht ist geschlagen.
    Sie holen mich aus
meiner Ruhepause. Erdrücken mich mit ihrem Verständnis, und der fröhliche
Abolitionist fragt, ob ich mich bereit fühle weiterzumachen. Entscheidungen
müssen gefällt werden, und das bald. Hört, hört, echoen die anderen Männer und
lächeln mich an. Wir müssen wissen, ob Sie unseren Plan unterstützen, sagt Sir
Hastings und sieht mich über einen Stapel verkrumpelter Manifeste hinweg an.
    Die Abolitionisten
stellen mich auf eine Stufe mit sich und sagen, wir kämpfen alle

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