Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
einmal gründlich durchgespült. Das Hygienebewusstsein in solchen Gemeinschaftseinrichtungen ist eben leider im menschlichen Denken nicht sehr ausgeprägt. Man muss nur an eine Büroküche denken. Eben. Und deshalb spült man hier jeden Teller sicherheitshalber zwei Mal. Der Rest unseres üppigen Abendessens reicht dann sogar noch für eine Spanierin und eine englischsprachige Pilgerin, die sich eigentlich zwei Fertiggerichte warm machen wollten. Gierig machen sie sich über unsere Überbleibsel her. Pilgern macht echt hungrig .
Es haben die barmherzigsten Weiber ihre Kinder selbst müssen kochen, dass sie zu essen hätten im Jammer der Tochter meines Volks. Klagelieder 4.10
18. Tag von Castrojeriz nach Boadilla
Wir haben uns prima ans momentane Dasein als Halbtagspilger gewöhnt. Weitere 23 Kilometer haben wir uns heute Vormittag an Santiago angepirscht. Die sanft gewellte Hügellandschaft ist für mich weiter ein Genuss. Von Wüstenei oder langweiliger Landschaft kann hier in der Meseta keine Rede sein, finde ich. Heute tauchen wieder vereinzelt Bäume und Weinfelder zwischen den Stoppelfeldern auf. Die Fliegen werden deutlich weniger. Ich habe heute allerdings zwei verschluckt, die mir direkt in die Speiseröhre geflogen sind. O-Saft hinterher und gut. Mittags sind wir da.
In Boadilla wohnen wir mit Leonie und einigen anderen Bekannten in einer privaten Herberge. Hier ist man - übrigens wie gestern auch schon - tatsächlich um das Wohl der zahlenden Gäste bemüht. Gepäck wird aufs Zimmer getragen, man ist zudem an mehrsprachiger Kommunikation interessiert. Es wird präzise und schnell gearbeitet. In dem 160-Seelen-Dorf werden wir hier sicher auch zu Abend essen. In der beliebten Herberge gibt es neben einem Einzelzimmer für mich sogar einen kleinen, leuchtend blauen Pool im sonnigen und mit Antiquitäten und Skulpturen geschmückten Garten. Hier läuft zwar keine Wasseraufbereitung, so dass es ein bisschen gewagt wäre, in die stehende Brühe einzutauchen, aber nett sieht estrotzdem aus. Das Blau des Pools und die alten bäuerlichen Gerätschaften verbreiten fast Urlaubsatmosphäre. Auf das Pilgervolk weisen vor allem die vielen robusten Wäschestücke auf der überdimensionierten Leine hin.
Beim Essen in unserer Pool-Herberge kündigt sich dann kühleres Wetter durch plötzlichen Wind an. Die Herbergsmama hat gekocht: Bohnen- und Hühnersuppe, Huhn mit Salat und ein Eis. Dazu gibt es wie immer Wein und Wasser inklusive. Cillian und die deutschen Studentinnen Ina und Simone essen mit.
Wir unterhalten uns über Journalismus. Auch bei Simone scheint der berüchtigte Berufswunsch „Irgendwas mit Medien“ im Kopf herumzuspuken. Ich schildere ihr die allgemeine berufliche Situation. Ihre Träumereien vom investigativen Recherchieren, frei von wirtschaftlichen und politischen Zwängen, rücke ich ein bisschen gerade.
Heute ist zum ersten Mal eine ältere deutsche Pilgerin mit schwarz-rot-goldenem Wappen auf dem Rucksack Gesprächsthema. Martin nennt die Gute „Mrs. MeMeMe“, also „Frau Ich-Ich-Ich“. Die etwa 60-jährige Alleinpilgerin ist schon vielen durch ihren nervigen Egoismus in den Herbergen aufgefallen.
Die Ich-Ich-Ich-Pilgerin macht rücksichtslos abends und nachts im Schlafsaal Licht und Krach, wenn ihr das in den Kram passt - und dann wiedermorgens um fünf als Erste. Es gab schon verschiedene Diskussionen und Wortgefechte mit anderen Schlafsaalinsassen, die sie aber immer rigoros abbügelt. Scheint, als wäre sie in einem pakistanischen Lager ausgebildet worden. Sie lebt ihren Egoismus so richtig aus und hat zudem ein reviermarkierendes, lautes Lachen parat. Vielleicht, macht sie hier alles so wie zuhause - oder sie hat sich das Ziel gesetzt, sich endlich mal durchzusetzen und nur noch sie selbst zu sein. Wer weiß das schon.
Solche Konflikte treten in der Extremsituation Jakobsweg natürlich immer wieder mal auf. Wenn lauter Fremde, die sich in nichts verpflichtet sind, so eng aufeinandertreffen, bleibt der eine oder andere schiefe Haussegen nicht aus. Das ist aber etwas, was man sich mit lediglich sechs Euro für eine Matratze mit einkauft. Pilgern ist Wundern über Mitpilger .
Wollen die leeren Worte kein Ende haben? Oder was macht dich so frech, also zu reden? Hiob 16.3
19. Tag von Boadillo nach Carrion de los Condes
Das ist uns jetzt in 19 Tagen noch nicht passiert: Wir laufen wie üblich um 6.30 los. Es istum diese Zeit inzwischen noch stockfinster. Zudem ist es heute morgen
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