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Ich habe sie geliebt

Ich habe sie geliebt

Titel: Ich habe sie geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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hielt mir die Empfangsdame zusammen mit dem Schlüssel eine Nachricht hin. Eine kleine Schrift fragte mich noch einmal:
    ›Es stimmte also nicht?‹
    Sie saß in der Bar und lächelte mich an.
    Ich ging auf sie zu und klopfte mir sanft auf die Brust.
    Ich bearbeitete mein armes, angegriffenes Herz, damit es wieder anfing zu schlagen.
    So glücklich war ich. Ich hatte sie nicht verloren. Noch nicht.
    So glücklich und auch überrascht, weil sie anders gekleidet war. Sie trug jetzt eine alte Blue jeans und ein unförmiges T-Shirt.
    ›Haben Sie sich umgezogen?‹
    ›Äh – ja.‹
    ›Warum denn?‹
    ›Als Sie mich vorhin sahen, war ich verkleidet. So ziehe ich mich an, wenn ich mit Chinesen der alten Schule arbeite. Ich habe festgestellt, daß ihnen das gefällt, dieser old-fashioned style , daß er sie beruhigt. Ich weiß nicht, warum. Er gibt ihnen Vertrauen. Ich verkleide mich als alte Jungfer und werde ungefährlich.‹
    ›Sie sahen aber ganz und gar nicht wie eine alte Jungfer aus, das kann ich Ihnen versichern! Sie – Sie sahen sehr gut aus. Sie – ich – nun ja, ich finde es schade.‹
    ›Daß ich mich umgezogen habe?‹
    ›Ja.‹
    ›Ihnen bin ich also auch ungefährlich lieber?‹
    Sie lächelte. Ich schmolz dahin.
    ›Ich glaube überhaupt nicht, daß Sie in Ihrem grünen Röckchen weniger gefährlich sind. Das glaube ich ganz und gar nicht.‹
    Wir haben chinesisches Bier bestellt. Sie hieß Mathilde, war dreißig Jahre alt, und wenn ich sie bewundert hatte, dann zu Unrecht: Ihr Vater und ihre zwei Brüder arbeiteten für Shell. Sie kannte den ganzen Jargon in- und auswendig. Sie hatte in allen Ölländern der Welt gelebt, fünfzig Schulen besucht und Dutzende von Schimpfwörtern in sämtlichen Sprachen gelernt. Sie konnte nicht sagen, wo genau sie lebte. Sie besaß nichts. Nichts als Erinnerungen. Nichts als Freunde. Sie liebte ihre Arbeit. Gedanken übersetzen und mit Worten jonglieren. Zur Zeit war sie in Hongkong, weil man hier nur die Hand auszustrecken brauchte, um Arbeit zu finden. Sie liebte diese Stadt, in der die Wolkenkratzer über Nacht aus dem Boden schossen und wo man fünfzig Meter weiter in einer etwas zwielichtigen Spelunke zu Abend essen konnte. Sie liebte die Energie dieser Stadt. Sie hatte als Kind ein paar Jahre in Frankreich gelebt und kehrte von Zeit zu Zeit dahin zurück, um ihre Cousins zu besuchen. Irgendwann würde sie sich dort ein Haus kaufen. Irgendwas, irgendwo. Vorausgesetzt es gab Kühe und einen Kamin. Als sie das sagte, lachte sie, sie hatte Angst vor Kühen! Sie schnorrte Zigaretten von mir und antwortete auf alle meine Fragen, indem sie zunächst die Augen rollte. Sie stellte mir auch ein paar Fragen, aber ich wischte sie beiseite, ich wollte ihr zuhören, ich wollte ihre Stimme hören, ihren leichten Akzent, ihre unsichere oder altmodische Ausdrucksweise. Mir entging nichts. Ich wollte mich von ihr durchdringen lassen, von ihrem Gesicht. Schon hatte ich mich in ihren Hals verliebt, ihre Hände, die Form ihrer Fingernägel, ihre leicht gewölbte Stirn, ihre kleine herzige Nase, ihre Schönheitsflecken, die Ringe unter ihren Augen, ihre ernsten Augen. Ich war total verrückt. Du lachst schon wieder?«
    »Ich erkenne dich nicht wieder.«
    »Ist dir immer noch kalt?«
    »Nein, alles in Ordnung.«
    »Sie faszinierte mich. Ich hätte mir gewünscht, daß die Welt aufhörte, sich zu drehen. Daß diese Nacht niemals zu Ende ging. Ich wollte mich nie wieder von ihr trennen. Nie wieder. Ich wollte willenlos im Sessel sitzen und ihr zuhören, wie sie mir bis ans Ende aller Tage ihr Leben erzählte. Ich wollte das Unmögliche. Ohne es zu wissen, gab ich die Richtung unserer Geschichte vor: losgelöste, unwirkliche Stunden, die nicht festzuhalten waren, nicht zu kanalisieren. Auch nicht auszukosten. Und dann stand sie auf. Sie mußte am nächsten Morgen früh zur Arbeit. Immer noch für Singh and Co. Sie mochte ihn gern, den alten Fuchs, aber sie brauchte ihren Schlaf, denn der Alte war sehr streng! Ich stand zusammen mit ihr auf. Mein Herz ließ mich von neuem im Stich. Ich hatte Angst, sie zu verlieren. Ich stotterte etwas, während sie ihre Jacke anzog.
    ›Pardon?‹
    ›Ichhabangsiezuverliern.‹
    ›Was sagen Sie?‹
    ›Ich sage, daß ich Angst habe, Sie zu verlieren.‹
    Sie lächelte. Sie sagte nichts. Sie lächelte und schwankte leicht, während sie sich am Kragen ihrer Jacke festhielt. Ich küßte sie zum Abschied. Ihr Mund war verschlossen. Ich küßte ihr

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