Ich habe sie geliebt
Lächeln. Sie schüttelte den Kopf und schob mich freundlich zurück.
Um ein Haar wäre ich rückwärts umgefallen.«
*
»Ist das alles?«
»Ja.«
»Du willst mir nicht erzählen, wie es weiterging, stimmt’s? Die Fortsetzung ist nicht freigegeben?«
»Keineswegs! Keineswegs, meine Liebe. Sie ist gegangen, und ich habe mich wieder hingesetzt. Ich habe die restliche Nacht damit verbracht, vor mich hinzudösen und ihren Zettel auf meinem Oberschenkel glattzustreichen. Nicht sehr prickelnd also.«
»Na ja! Schließlich war es der Oberschenkel.«
»Was bist du dumm, Mädchen.«
Ich grinste.
»Aber warum war sie überhaupt zurückgekommen?«
»Das ist genau die Frage, die ich mir in dieser Nacht gestellt habe, und am nächsten Tag und am Tag danach und an allen anderen Tagen, bis ich sie wiedersah …«
»Wann hast du sie wiedergesehen?«
»Zwei Monate später. An einem Abend im August tauchte sie in meinem Büro auf. Ich erwartete niemanden. Ich war etwas früher aus dem Urlaub zurückgekehrt, um in Ruhe arbeiten zu können. Die Tür ging auf, und sie stand da. Sie war einfach vorbeigekommen. Auf gut Glück. Sie kam aus der Normandie und wartete auf den Anruf einer Freundin, um wieder abzureisen. Sie hatte mich im Telefonbuch gesucht, das war’s.
Sie gab mir den Stift zurück, den ich am anderen Ende der Welt liegengelassen hatte. Sie hatte schon einmal vergessen, ihn mir zu geben, in der Bar, aber dieses Mal dachte sie sofort daran und kramte schon in ihrer Tasche.
Sie hatte sich nicht verändert. Ich meine, ich hatte sie nicht idealisiert, ich fragte sie:
›Aber, Sie kommen doch nicht nur deswegen? Wegen eines Kugelschreibers?‹
›Doch natürlich. Der Stift ist sehr schön. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie an ihm hängen.‹
Sie hielt ihn mir mit einem Lächeln hin. Es war ein einfacher Bic. Ein roter Bic aus Plastik.
Ich wußte nicht mehr, was tun. Ich – sie schloß mich in die Arme, und ich ließ es geschehen. Die Welt stand mir offen.
Händchenhaltend sind wir durch Paris gelaufen. Vom Trocadéro bis zur Île de la Cité, die Seine entlang. Es war ein phantastischer Abend. Es war heiß. Das Licht war sanft. Die Sonne hörte nicht auf, unterzugehen. Wir waren wie zwei Touristen, sorglos, verzückt, die Jacke über der Schulter und die Finger ineinander verhakt. Ich spielte den Führer. Ich war seit Jahren nicht mehr so durch Paris gelaufen. Ich entdeckte meine Stadt neu. Wir aßen an der Place Dauphine zu Abend und verbrachten die nächsten Tage in ihrem Hotelzimmer. Ich erinnere mich noch an den ersten Abend. An ihren salzigen Geschmack. Sie hatte anscheinend gebadet, bevor sie in den Zug gestiegen war. Ich mußte in der Nacht aufstehen, weil ich Durst hatte. Ich – es war herrlich.
Es war herrlich und völlig verkehrt. Alles war falsch. Das war nicht das Leben. Das war nicht Paris. Wir hatten August. Ich war kein Tourist. Ich war kein Junggeselle. Ich log. Ich belog mich. Mich, sie, meine Familie. Doch sie ließ sich nicht täuschen, und als das böse Erwachen kam, die Stunde der Telefonanrufe und der notwendigen Lügen, reiste sie ab.
Am Flugsteig verkündete sie mir:
›Ich will versuchen, ohne Sie zu leben. Ich hoffe, daß es mir gelingt.‹
Ich hatte nicht den Mut, sie zu küssen.
Am selben Abend habe ich im Drugstore gegessen. Ich litt. Ich litt, als würde mir etwas fehlen, als hätte man mir einen Arm oder ein Bein amputiert. Es war eine unglaubliche Empfindung. Ich begriff nicht, was mir geschah. Ich weiß noch, daß ich zwei Silhouetten auf eine Papierserviette kritzelte. Die linke Silhouette war sie von vorne, die rechte war sie von hinten. Ich versuchte mich an die Anordnung ihrer Schönheitsflecken zu erinnern, und als der Kellner kam und die vielen kleinen Punkte sah, fragte er mich, ob ich Akupunkteur sei. Ich begriff nicht, was mir geschah, dennoch ahnte ich, daß es etwas Ernstes war! Wenige Tage lang war ich ich selbst gewesen. Nicht mehr und nicht weniger als ich selbst. Wenn ich mit ihr zusammen war, hatte ich das Gefühl, ein toller Kerl zu sein. So einfach war es. Ich hatte nicht gewußt, daß ich ein toller Kerl sein konnte.
Ich liebte diese Frau. Ich liebte diese Mathilde. Ich liebte ihre Stimme, ihren Verstand, ihr Lachen, ihren Blick auf die Welt, diesen Fatalismus von Leuten, die viel rumgekommen sind. Ich liebte ihr Lachen, ihre Neugierde, ihre Diskretion, ihr Rückgrat, ihre ein wenig vorspringenden Hüften, ihr Schweigen, ihre Sanftmut und – alles
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