Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
weißt du nicht mehr, stimmt’s? Ich dachte, du hättest ihn gehabt, aber ich kann mich auch getäuscht haben. Sie kann ihn dir, als ihr euch in ihrem Auto getroffen habt, weggezogen haben, und du hast es nicht gemerkt, weil du so was nie mitkriegst, und dann hat sie ihn für ihren Zweck benutzt und wieder hierhergebracht. Sie muss über den Kanal gekommen sein. Bei der Gelegenheit hat sie auch das Messer ins Wasser geworfen. Max und Marcus waren unterwegs, weißt du noch? Sie brauchte also nur hinten das Fenster aufzustoßen und den Schal reinzuwerfen, und dass Ava ihn frühmorgens gefunden und erst mal an sich genommen hat, war für Portia nur von Vorteil. Sie muss das alles sehr langfristig geplant haben.«
»Aber Lex hat sie wegen der Finanzen angegriffen …«
»Deshalb musste er verschwinden, und nun will sie die Sache zu Ende bringen. Durch mein Video ist das mit den Finanzen Thema geworden, aber jetzt, wo Gerry da unten liegt, kann es auch so aussehen, als wäre alles nur das Werk eines Verrückten. Der durchgeknallte Kerl, der durchs Fernsehen berühmt geworden ist und plötzlich alle umbringt, die zu diesem Ruhm beigetragen haben.«
Ich halte inne. Über meine Sinne ist etwas an mein Bewusstsein gedrungen, das mich erstarren lässt. O nein. Das kann doch nicht sein. »Wonach riecht es hier?«
»Was?« Paul schnuppert, merkt aber nichts.
»Das ist Gas.«
»Nein.«
Ich schnuppere noch einmal. Doch, das ist es, keine Frage, unsichtbar quillt es unter der Tür durch und die Treppe herauf. Das Haus füllt sich mit einer tödlichen Mischung. Ich stürze zum Kleiderschrank in der Ecke, packe den alten Computerbildschirm, der dort verstaut ist, und schleudere ihn mit aller Kraft durch die Scheibe des Fensters, das zum Garten hinausgeht. Mit einem gewaltigen Krachen zerspringt das Glas, der Bildschirm landet drei Stockwerke tiefer auf der Terrasse und zersplittert in Tausende winziger Teilchen, die sich über die Pflanzen ringsum verteilen. Ich sehe die Marie Rose durch das regennasse Geäst der Bäume vor dem Fenster und wünsche mir mit allen Fasern meines Herzens, dass Max und Marcus jetzt da wären; dass das Krachen und Scheppern Max dazu bringen würde, den Blick von seinem Nabel zu lösen, durch ein Bullauge nach draußen zu schauen und barfuß über den Rasen geschlendert zu kommen, um uns zu retten. Aber auf dem Boot regt sich gar nichts. Ich verfluche mein Schicksal, mein Leben, mich selbst. Und die ganze Zeit schreit mein Herz nach meiner Tochter.
»Sie will das Haus in die Luft jagen.« Paul steht wieder auf der Treppe, sammelt sich, um sich gegen die Tür zu werfen. Wir haben die Endrunde erreicht. Mit aller Kraft versucht er, diese Tür aufzubrechen, kann nicht glauben, dass er es nicht schafft. Blut ist von seiner nässenden Kopfwunde auf das graue T-Shirt getropft. Er kämpft für seine Familie, kämpft um unser Leben, nicht um seins. Jetzt geht er noch eine Stufe höher, schätzt ab, aus welcher Höhe er noch springen kann, ohne sich garantiert die Beine zu brechen.
Er lehnt sich zurück, will schon springen, da schreie ich:
»Nicht, Paul, lass es!«
Er blickt zu mir auf, seine Stirn ist scheußlich braun von getrocknetem Blut. »Es tut mir leid, Kate.« Dann springt er doch und prallt mit einem dumpfen Laut gegen die Tür, aber sie gibt nicht nach. Er stöhnt, krümmt sich, bleibt einen Moment liegen. Der Gasgeruch wird stärker. Der Zähler ist im Schrank unter der Treppe untergebracht, die Leitungen sind über Putz verlegt. Sie hat irgendwo ein Rohr aufgehackt, und jetzt strömt das Gas unter Druck mitten in mein Haus.
»Ich hab Angst, Mama.« Ich gehe hinüber in die Ecke und nehme den wimmernden Josh in die Arme, und zugleich empfinde ich kalte Wut auf die Frau dort hinter der Tür. Paul keucht vor Anstrengung. Mit stumpfem Blick kommt er die Stufen heraufgehumpelt, tritt an das kaputte Fenster und schreit, schreit an gegen den Regen, der auf das Wellblechdach des Schuppens im Nachbargarten trommelt. Vielleicht hört uns jemand. Aber es ist nur ein Vielleicht, und wir brauchen viel mehr als das. Wir brauchen Rettung. Lange schaut Paul nach draußen. Als er sich umdreht, glimmt in seinen Augen wieder ein zaghaftes Licht.
»Du steigst hier aus.«
Ich gehe zu ihm ans Fenster und schaue hinunter. Tief unter uns auf der Terrasse glitzern Bildschirmsplitter im Regen. »Ich halte dich und gebe dir ein bisschen Schwung, und dann kletterst du durch das Fenster da unten wieder rein.« Ich
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