Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
aufbauen.
Unsere zweite Begegnung verlief anders als die erste. Eines Abends, ich war mit Pug und Jessie unterwegs, sind wir uns einfach über den Weg gelaufen. Ich erinnere mich an den Anblick seines langen, muskulösen Arms, den er über die Theke streckte, um Wechselgeld entgegenzunehmen, und daran, wie sich seine Schulter nach oben schob, während er die Münzen in die Tasche steckte. Als er mich entdeckte, schaute er unwillkürlich ein zweites Mal herüber, überlegte kurz und schenkte mir schließlich sein breites, strahlendes Lächeln. Er war ein bisschen voller geworden, was ihm gut stand; seine Haut war gebräunt wie früher auch, und seine Klamotten signalisierten Erfolg. In dem Moment habe ich mich tausendmal verflucht, denn ich war zur Verabredung mit Jessie direkt von einem Softball-Spiel mit Kolleginnen gekommen, hatte eine Jogginghose an und war kein bisschen geschminkt. Ich sah unmöglich aus und fühlte mich auch so.
»Wenn das nicht das Mädchen mit dem Fahrrad ist! Du hast dich verändert.« Trotz meines Aufzugs musterte er mich wohlgefällig von Kopf bis Fuß. Er kam mir forscher vor als früher, selbstbewusster. Da machte sich schon der Erfolg bemerkbar.
»Der Mann mit dem weißen Transporter! Du hast dich nicht verändert, wie ich sehe. Ich dachte schon, du würdest mich mit dem V-Zeichen begrüßen.« Ich reckte ihm zwei Finger entgegen, und er lachte, während Pug und Jessie uns mit offenem Mund anstarrten.
»Katy, richtig?« Er streifte meinen Arm mit seinem Handrücken. Er wusste meinen Namen. Nach acht Jahren erinnerte er sich immer noch an meinen Namen. Ich muss über das ganze Gesicht gestrahlt haben.
Trotzdem schüttelte ich in gespielter Entrüstung den Kopf. »Nein! Kate.«
Er setzte sich neben mich, und wir erzählten unseren Freunden, wie wir uns kennengelernt hatten – so als wären wir bereits ein Paar.
»Als er mein Fahrrad aus dem Wagen hob, sagte er: ›Hier, und nimm mich irgendwann mal hintendrauf.‹«
»Junge, ich hoffe, du machst es inzwischen ein bisschen subtiler!« Pug schüttelte den Kopf, Jessie kicherte.
Paul revanchierte sich. »Also, sie hatte diesen Strohhut auf …«
Entsetzt schlug ich die Hände vors Gesicht. »O nein …«
»Einen Strohhut? Du bist mit einem Strohhut im College angekommen?«, fragte Jessie.
»Nein, den hat meine Mutter mir zum Abschied geschenkt. Sie dachte, so was tragen die Leute am College. Ich fand das süß von ihr. Es war doch nur ein Stroh …«
»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Jessie kriegte sich gar nicht wieder ein.
»So schlimm ist das doch auch nicht, mein Gott. Ich war achtzehn …«
»Oje!« Wir mussten alle lachen, und als Paul etwas zu trinken holen ging, zog Jessie die Brauen hoch und bedachte mich mit ihrem Wo-hast-du-den-denn-die-ganze-Zeit-versteckt-Blick. Später haben Paul und ich an der Bar gesessen, geflirtet und bestimmt eine halbe Stunde lang herumgewitzelt, bis er endlich in einem Nebensatz erwähnte, dass er verheiratet sei. Als wäre das nicht weiter wichtig. Ich war so niedergeschmettert, dass ich erst mal gar nichts mehr sagen konnte, und er konzentrierte sich, um das peinliche Schweigen zu überbrücken, auf sein Bier.
»Wo ist deine Frau?« Das klang so fremd. Er war achtundzwanzig. Wenn ich mir heute Fotos aus jener Zeit anschaue, kommt er mir darauf unfassbar jung vor; im Grunde sehen wir auf diesen Fotos beide viel zu jung aus für das Gefühlschaos, das wir bald darauf anrichteten.
»Auf einer Party, für ihren Job. Sie kann mit Pubs nicht so viel anfangen.« Er spielte unglücklich mit einem Bierdeckel herum. Zehn Minuten später hatte ich mich in die Toilette zurückgezogen, und Jessie war mir hinterhergekommen.
»Wer ist das, verdammt?« Sie starrte mich neugierig an, erpicht auf eine Sensation.
Ich hob die Hände. »Er ist verheiratet.«
Sie sackte zusammen und lehnte sich gegen ein Waschbecken; die Enttäuschung in ihrem Gesicht spiegelte meine eigene. »Mal wieder typisch.« Damit drehte sie sich zum Spiegel um und zog ihren Lippenstift nach. »Na ja, was soll’s, auch andere Mütter haben schöne Söhne …«
Von da an war meine Liebe zu Paul mein Geheimnis. Für Jessie galten damals unantastbare moralische Grenzen – die mit den Jahren etwas durchlässiger geworden sind –, und sie ging davon aus, dass ich mir jemand anderen ausgucken würde. Ich dagegen glaubte daran, dass ich das durchziehen könnte. Nachdem er mir von Eloide erzählt hatte, hörte Paul auf,
Weitere Kostenlose Bücher