Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
finden, und wenn es nur ein Beweis für eine Affäre ist; alles wäre mir lieber als dieses Fegefeuer aus Lug und Trug.
Ich gebe Pauls Arbeits-Maildresse und das dazugehörige Passwort ein. Es ist keineswegs das erste Mal, dass ich mich in seinen E-Mail-Account einlogge; ich habe das nie als seinen Privatbereich betrachtet, hatte nie das Gefühl, damit die ungeschriebenen Regeln zu verletzen, die unserer Ehe Halt geben. Die rote Schrift, die jetzt erscheint, ist mir leider nur zu vertraut. Die Eingabe war falsch. Ein paar Versuche später sehe ich mich mit einer schrecklichen Tatsache konfrontiert: Nicht ich habe falsche Buchstaben getippt – Paul hat sein Passwort geändert.
Still sitze ich da und brüte über der Frage, was das zu bedeuten hat. Ich weiß über alle Einzelheiten seines Alltagslebens Bescheid. Es ist gar nicht so, dass ich mich bemüht hätte, sie zu erfahren, sie sind einfach in den Jahren unseres Zusammenlebens zu mir durchgedrungen. Oder ich zu ihnen. Ich kenne seine PIN, weiß, wo er seine Kontoauszüge aufbewahrt, bei welchem Taxiunternehmen er ein Kundenkonto hat, was in seinem Testament steht. Und jetzt bin ich von seinen E-Mails ausgeschlossen, seiner Kommunikation mit der Außenwelt. Gerade jetzt, da ich es kaum erwarten kann, in diesen Bereich vorzudringen, mich durch seinen Posteingang, die Liste der gelöschten und die der gesendeten Objekte zu scrollen. Ich bin regelrecht besessen von dem Wunsch, da reinzukommen. Ich bin seine Frau; es ist mein gutes Recht!
Ich lege die Hände flach auf die Tischplatte, spreize die Finger, versuche, mich am Holz festzuklammern, bis meine Nägel über den Lack kratzen. Wenn es sein muss, erzwinge ich mir den Zugang. In Filmen werden ständig Passwörter geknackt – man gibt einfach den Namen des Hundes ein und fertig. Doch ich bin in keinem Film, das hier ist das wirkliche Leben, und mein Mann hat mich ausgesperrt. Nach drei Stunden sitze ich immer noch so da. Ich kann’s nicht. Ich habe alles versucht, Logisches und Unlogisches. Ich weiß alles über Paul, jedes verdammte Detail, und habe es trotzdem nicht hingekriegt. Am Anfang bin ich logisch vorgegangen, ruhig, methodisch. Mein Name. Die Namen der Kinder. Andere Familienmitglieder bis hin zu Nichten, Neffen und Großeltern. Ich habe die Namen früherer Schulen eingegeben, die seiner Lieblingslehrer. Mit ehemaligen Adressen habe ich es versucht, mit und ohne Hausnummer. Ich habe die Namen von Kollegen ausprobiert, früheren wie jetzigen, und die von Ex-Freundinnen, seinen Fußballverein, die Abkürzung für seinen Fußballverein, den Namen seiner Schildkröte in Verbindung mit dem des Hauses, in dem er aufgewachsen ist (darüber haben wir vor Jahren im Pub unsere Witze gemacht; Hercules Hamleigh heißt auch ein ziemlich mäßiger Pornodarsteller), den Namen des Ortes, wo er am liebsten Urlaub macht, wo wir geheiratet haben, wo er und Eloide geheiratet haben, und natürlich habe ich es mit Melody versucht, mit und ohne Nachnamen. Nichts. Ich habe die Titel der Bücher durchprobiert, die auf dem Regal gleich neben dem Computer stehen, den Namen des Kriegsschiffes Marie Rose, seine Lieblingsfigur des öffentlichen Lebens, die Markennamen seiner Designerklamotten, den Namen unseres letzten Bauleiters. Ich habe die Titel der von ihm produzierten Sendungen eingegeben, den Titel der Serie, für die er Preise eingeheimst hat, dann habe ich die Tastatur quer durch den Raum geschmissen, einen Becher Tee umgekippt und angefangen zu heulen. Er spielt Spielchen mit mir. Er macht mich kirre. In diesem Moment hasse ich meinen Mann. Ich hasse ihn inbrünstiger, als ich es je für möglich gehalten hätte.
Paul ist arrogant. Und es gibt Gründe dafür: Er leitet eine große Firma, gewinnt mit seiner Arbeit Preise, hat viele Angestellte. Er ist gebildet, kann hervorragend über die abstraktesten Gegenstände diskutieren und den Sieg davontragen, kann einfach so zum Spaß eine gänzlich andere Perspektive einnehmen. Er ist klüger als ich. Bei Spielen schlägt er mich: im Schach sowieso und auch beim Monopoly, er kann noch die letzten Fragen von Kreuzworträtseln beantworten, und beim Scrabble schlachtet er mich förmlich. Letzteres ist schmerzlich für mich. Es tut jedes Mal aufs Neue weh, aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Wenn er sein letztes Steinchen legt und dann mit dem kleinen dicken Bleistift, den wir immer im Spielkarton liegen haben, die Endstände zusammenzählt, sieht er mich
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