Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Worten Nachdruck zu verleihen, Paul ist in Gedanken sonst wo. Wenn ich ehrlich sein soll – die Art von Wohlstand und Berühmtheit, nach der Lex giert, macht mir Angst. Mir gefällt es, wie es ist; die Gewissheit, dass Paul mein Mann ist und seine Familie liebt. Vielleicht gibt es auch ein Zuviel an Erfolg; die Leute geraten aus dem Gleichgewicht, verändern sich, verlieren den Kontakt zu ihrem früheren Ich. Ich stelle mir vor, wie ich über Bord geschubst werde, in das kalte, dreckige Wasser, und wie Paul davontreibt; wie meine Schreie ungehört verhallen, weil der Motor des Ausflugsdampfers sie übertönt.
»Mami, frierst du?«, fragt Ava.
Ich streichele sie und wende meine Aufmerksamkeit wieder Paul zu, der beschwichtigend auf Lex einredet. »Wir müssen die Leute bei Laune halten, produzieren, was die Zuschauer sehen wollen, dann stehen wir diese Krise auch durch.«
Lex grunzt. »Solange es nicht so läuft wie bei Wer war’s? und irgendein anderer Idiot bestimmt, wie es ausgeht …«
Während die beiden so reden, hat John sich wieder in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Er steht allein an der Reling und beobachtet, wie wir mit einem sanften Ruck anlegen, wobei das Antriebswerk nach hinten zeigt zum Fluss, auf dem wir gekommen sind. »Geht’s dir gut?«, frage ich ihn.
»Was macht die Arbeit? Läuft’s gut?«, fragt er zurück. Ich nicke, und er zaust Josh das Haar, um nicht mich ansehen zu müssen. Josh duckt sich verlegen weg.
Eigentlich wollten wir ein Picknick machen, aber nach Sarahs Absage habe ich mich dankbar darauf beschränkt, überteuerte Sandwiches und Brötchen zu kaufen. Es ist kalt, man sieht nicht viele Leute. Nachdem wir die Kinder durch das Schlafzimmer von Heinrich VIII. geschleift und Lex’ endlose Andeutungen über Geschlechtskrankheiten erduldet haben (glücklicherweise ist Josh noch zu jung, um darauf anzuspringen), gelangen wir ins Freie und gehen zum Irrgarten. Ohne Anstrengung finden wir den Weg ins Zentrum, und zurück sind wir auch viel schneller, als ich gedacht hatte. Ava mault, Josh macht ein gelangweiltes Gesicht. Das hatte der Höhepunkt unseres Familienausflugs werden sollen, aber er bleibt deutlich hinter unseren Erwartungen zurück.
»Und jetzt spielen wir was«, sagt Paul, um gegen das Energietief anzugehen. »Verstecken im Irrgarten.« Die Kinder zeigen sich wenig begeistert. »Ich fang an. Ihr müsst mich suchen!« Er verschwindet zwischen den Hecken, während John und ich uns Mühe geben, die Kinder anzufeuern. Wir schleichen uns einen Gang entlang, und Lex spielt das Schlossgespenst. Kichernd rennen die Kinder weiter, dicht gefolgt von John. An der nächsten Abzweigung biege ich ab und bin plötzlich allein. Die Stille ist angenehm. Umgeben von dicken Eibenhecken, gehe ich ein paar Schritte weiter. Das Frühjahr kommt; an den Zweigen sitzen zarte hellgrüne Spitzen. Aus der Ferne höre ich einen Schrei. Ich bleibe stehen und lehne mich gegen ein Geländer. Das ist seit heute Morgen das erste Mal, dass ich allein bin; ich fühle mich vollkommen ausgelaugt. Der gestrige Abend hatte etwas extrem Melodramatisches – im Moment bin ich viel zu müde, um darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist und was es bedeutet.
Von jenseits der Hecke höre ich Ava fragen: »Wo ist Mami, Onkel John?«
Ich rühre mich nicht – sollen sie mich doch suchen.
»Es gibt ein Problem«, sagt John leise, aber entschieden.
Daraufhin ist ein unwilliger Laut zu hören, gefolgt von ein paar Worten, die ich nicht verstehe.
»Sie hat den Vertrag nicht unterschrieben.«
»Ich dachte, das wäre alles längst abgeschlossen!« Das ist Paul.
»Ist es eben nicht. Ich hab’s mir heute Morgen noch mal angeschaut. Sie hat nicht unterschrieben. Wenn bei ihr zu Hause nicht noch etwas gefunden wird, haben wir nichts.«
Paul flucht. »Und das bedeutet was? «
John sagt etwas wiederum Unverständliches. Ich spähe durch die Hecke, sehe aber nur kurz etwas Farbiges vorbeihuschen und rieche Zigarettenrauch. »Das bleibt unter uns; sprich mit niemandem darüber.«
»Ich will hier langgehen, Papa!« Nach dem Gemurmel der Männer schallt Avas Stimme geradezu. Ich habe einen komischen Geschmack im Mund. Was darf ich nicht wissen? Ich bin kurz davor, aus der Haut zu fahren, als mir plötzlich jemand auf die Schulter klopft.
»Warum guckst du so schuldbewusst?«, fragt Lex.
»Wenn das mal keine Projektion ist!«
Er grinst, dass seine spitzen kleinen Zähne blitzen. Ich fahre mir übers
Weitere Kostenlose Bücher