Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
aus dem Büro mitgenommen?«
Er zögert. »Nichts.«
Ich spüre die Karteikarte mit Melodys Adresse unter meinem BH-Träger. »Kann ich sagen …«
»Nein«, fällt John mir sofort ins Wort. Er will sich den Sieg nicht in letzter Minute nehmen lassen.
Mit unverhohlener Feindseligkeit starrt Mackenzie mich an, und ich halte seinem Blick nicht stand. Der Letzte, der mich so angesehen hat, war ein Lehrer zu Schulzeiten. Ich war immer auf der richtigen Seite, bin ohne ernsthafte Konflikte durchs Leben gekommen. Ich möchte gefallen, es den anderen recht machen. »Ich rufe jetzt Ihren Mann an. Mal sehen, was der dazu sagt.« Unter Türenknallen geht er nach nebenan.
»Hier sind überall Kameras, Kate, nur für den Fall, dass du das noch nicht gesehen hast.« John blickt zur Decke. »Mikrofone sind auch dran.« Er lächelt, aber ich weiß, was er sagen will: Bleib ruhig; wir reden über die Sache, wenn wir hier raus sind.
»Was passiert jetzt?«
»Wir warten. Auf einer Polizeiwache wird viel gewartet.« Er fischt ein Päckchen Kaugummi aus der Tasche. »Und heutzutage, wo man nirgends mehr rauchen darf, ist das besonders schlimm.« Ich nehme mir auch einen Streifen von dem kleinen Stapel.
Bald kehrt Mackenzie zurück und bedenkt mich wieder mit diesem galligen Blick. »Er sagt, dass Sie an Schlaflosigkeit leiden; dass Sie oft nachts auf sind und Sachen erledigen; dass Sie vielleicht etwas gesucht haben und dachten, Sie könnten es im Büro liegen gelassen haben.« Sein Sarkasmus ist unüberhörbar, er glaubt garantiert kein Wort von alldem. »Das passt alles so gut, Mrs. Forman, was? Wasserdicht, oder?«
»Wenn Sie gegen die Frau nichts vorbringen können, müssen Sie sie freilassen.« Zum Zeichen, dass er die Sache als erledigt betrachtet, schiebt John seinen Stuhl zurück.
Mackenzie hat die Hände aus den Taschen genommen; es zuckt in ihnen. Ich bin nicht sicher, ob er lieber mir eine verpassen würde oder lieber John. Wahrscheinlich uns beiden. Ich bin mit vielen Polizistenkindern in die Schule gegangen. Die Väter habe ich streng und zynisch in Erinnerung, genau wie Mackenzie; sie konnten ohne Vorwarnung sehr laut werden, wenn wir es etwa wagten, eine Stereoanlage anzurühren oder in einer sorgsam gehüteten Plattensammlung zu stöbern. Mackenzie verabscheut mich.
Während ich an einem hohen Tresen diverse Papiere unterschreiben muss und meine Taschenlampe, mein Handy und den Autoschlüssel ausgehändigt bekomme, bleibt John dicht an meiner Seite. Als die Morgendämmerung anbricht, verlassen wir die Polizeiwache gemeinsam.
»Ich wusste gar nicht, dass du Strafrecht machst.«
»Das ist ein Sonderfall. Wir wollen in dieser Sache möglichst wenig Publicity.«
»Wir?«
Johns graue Augen mustern mich. Seine Miene verrät nichts. »Paul, ich, die Firma.« Er holt Zigaretten hervor, zündet eine an und ist nur kurz irritiert, als ich sie ihm aus der Hand nehme und tief inhaliere. Er steckt sich einfach eine neue an.
»Machst du immer, was Paul sagt?« Jetzt, da ich draußen bin und es hell wird, schäme ich mich unendlich, und diese Spitze gegen John ist letztlich ein Versuch, mich selbst zu schützen. »Warum springst du, sobald er pfeift?«
Er ballt die Rechte halb zur Faust, dreht sie und betrachtet die Fingernägel. Die Zigarette zeigt himmelwärts. »Das tue ich deiner Meinung nach?«
John ist jemand, der Fragen mit Gegenfragen beantwortet oder gar nicht. Ich kann weder das eine noch das andere leiden. Ich schaue meinen Schwager an. Die Kluft zwischen dem, was ich sehe, und dem, was ich im Lauf der Jahre über ihn gehört habe, ist durch nichts zu überbrücken. Er ist neun Jahre älter als Paul, eine andere Generation. Er war Jurist in einer Werbeagentur – bis er irgendwann die wichtigsten Kunden der Agentur in Los Angeles freihielt, sich nach einer dreitägigen Sauftour neben dem Pool ihres Hotels splitternackt auszog, auf der flachen Seite des Beckens ins Wasser sprang, sich den Kopf aufschlug und in der Notaufnahme landete. Das Erste, was er fragte, als er wieder zu sich kam, war, ob sie den Job gekriegt hätten. Diesen außergewöhnlichen Mann habe ich nicht kennengelernt. Und die Vorstellung, wie er da am Venice Beach herumbrüllt, wie er nackt am Pool steht und die Forman-Preziosen zur Schau stellt, während sämtliche Hotelgäste in Deckung gehen, ist mir äußerst fremd. Ich selbst mag überhaupt nicht im Mittelpunkt stehen. Keinesfalls will ich alle Blicke auf mich ziehen.
»Was hat Paul
Weitere Kostenlose Bücher