Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
zerwühlt, seine schiefen Zähne sind in einem ungünstigen Winkel eingefangen. Die Fotografen müssen einen Tipp gekriegt haben, dass man ihn zu einer Vernehmung holt, und sie hatten bestimmt reichlich Zeit zum Fotografieren. Nett. Wieder drin, lautet die Headline.
Gestern wurde Gerry Bonacorsi zur Vernehmung geholt. Der ehemalige Zauberer, der seine Frau erdrosselt hat, sollte zum Mord an der Fernsehredakteurin Melody Graham befragt werden. Der Mann, der zu einmal lebenslänglich verurteilt war und es dank seiner Wut zum Status des dienstältesten Häftlings von Großbritannien gebracht hatte, gab auf dem Weg zur Wache der Öffentlichkeit eine Kostprobe von dieser Wut, indem er die Polizisten mit Beschimpfungen überhäufte. Bonacorsis umstrittene Entlassung aus der Haft könnte nach Aussage eines Strafvollzugsprechers von kurzer Dauer sein. »Verurteilte Mörder haben, wenn sie freikommen, strikte Regeln zu befolgen, und ein derartiger Widerstand gegen Polizeibeamte könnte als Verstoß gegen diese Regeln gewertet werden.« Es gibt verblüffende Parallelen zwischen dem Mord an Graham und dem an Delia Bonacorsi in den Achtzigern, für den Bonacorsi dreißig Jahre im Gefängnis war. Nachdem die Reality-TV-Serie Inside-Out sein Leben hinter Gittern gezeigt hatte, war er vor einem Monat auf freien Fuß gesetzt worden. Die gestrige Vernehmung des Verdächtigen dauerte vier Stunden, dann konnte er gehen.
Auf Seite fünf finde ich ein Farbfoto von Delia. Sie lächelt schüchtern in die Kamera. Und sie trägt ein Kettchen mit einem Kreuz, das nicht die Macht hatte, sie vor dem Mann zu retten, der ihr am nächsten stand.
21
A ls ich nur noch zwei Straßen von zu Hause weg bin, klingelt mein Telefon. Die angezeigte Nummer sagt mir nichts. Es ist Eloide. Sie fragt, ob wir uns heute zum Lunch verabreden wollen. Normalerweise lehne ich solche Angebote höflich ab (die Kinder liefern immer eine gute Ausrede) und habe das Gefühl, wir sind beide erleichtert, denn so können wir ihren Bemühungen ausweichen, eine Freundschaft aufrechtzuerhalten, die keine von uns beiden wirklich will. Heute aber durchströmt mich Siegesgewissheit. Entschlossen angele ich nach meinem Hausschlüssel. Ich verfüge über neue und gefährliche Informationen, die das Kräfteverhältnis in unserem Dreiergespann gründlich verändern. Es ist trivial, aber wer immer gesagt hat, wir würden uns mit den Jahren weniger kindisch benehmen, hat geträumt. Ich werde mit dem Feind das Brot brechen.
»Ja, gern.«
Einen Herzschlag lang herrscht Schweigen. »Wie schön!« Jetzt muss sie, ob sie nun will oder nicht.
Als ich im Badezimmer stehe, werde ich schwankend und möchte am liebsten absagen. Ich sehe älter aus als Gerry Bonacorsi; mein schlechtes Gewissen, meine Lügerei und schließlich meine nächtlichen Aktivitäten und der Schlafentzug haben mir eine unschöne graue Blässe eingetragen. Heiß duschen, eine ordentliche Ladung Foundation und vier Aspirin – mehr kann ich nicht tun, um mich halbwegs wiederherzustellen. Kurz vor Mittag mache ich mich auf den Weg. In der U-Bahn schlafe ich um ein Haar ein.
Eine Dreiviertelstunde später öffnet Eloide mir die Rauchglas-Haustür und führt mich in ihren makellos sauberen Hightech-Koch-Ess-Chill-Bereich. Oder eher in den von ihrem Freund. Es ist sein Haus. Zuletzt habe ich Eloide gesehen, als sie hier eine Halloween-Party gab. Ich gehe zu diesen Anlässen mit, weil ich Paul und sie nicht allein lassen will; ich muss alles genau beobachten und mir einprägen, Gesten einordnen, mir ein Bild von der Atmosphäre machen. Eloide trug damals ein schwarzes Seidenkleid nach dem neuesten Schnitt und unglaublich hochhackige Designerschuhe mit Fransen dran, die bei jeder Bewegung hin und her schwangen wie das Röckchen einer Hula-Hula-Tänzerin. Sie musste sich herunterbeugen, um mich auf die Wange küssen zu können. Paul meint immer, es sei wichtig, dass wir uns bei diesen Partys zeigen, weil Eloide so viele einflussreiche Fernsehleute kennt, und prompt ließ er sich auch gleich auf den Branchentratsch ein, während ich mich mit einer anderen stehengelassenen Ehefrau in Allgemeinplätzen über Eloides Terrassentüren erging. Täuschen Sie sich nicht, das Gespräch war keineswegs lahm, ganz im Gegenteil. Wenn man nur tief genug bohrt, stößt man auf die erstaunlichsten Dinge. Diese Technik habe ich mir während meiner Zeit in der Marktforschung angeeignet; nach und nach lernt man, die richtigen Fragen zu stellen.
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