Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
der Lage im Land der Notwendigkeit und der Möglichkeiten einer bewaffneten Revolte nicht ganz verschließen. Wenn sie sich aber daran beteiligt, gerät sie in Konflikt mit der von Moskau im Zeichen einer Weltpolitik der friedlichen Koexistenz ausgegebenen strategischen Richtlinie, alle bewaffneten Aktionen in Südamerika vorerst zu unterlassen.
Das bolivianische Zentralkomitee ist schwankend, was es tun soll. Generalsekretär Monje hält sich vorerst noch zu einem Besuch in Bulgarien auf, macht aber auf der Heimreise Station in Havanna, um die Lage mit Castro zu besprechen. Fidel befindet sich ebenfalls in einer gewissen Verlegenheit. Er kann die strategischen Absprachen der kommunistischen Parteien Lateinamerikas mit Moskau nicht ohne weiteres ignorieren, muss aber gleichzeitig für die Unterstützung Guevaras werben. Was Castro damit von Monje verlangt, bedeutet praktisch dessen Einverständnis, dass die politische Führung von Moskau auf Havanna übergeht.
Die eher ablehnende Haltung im Zentralkomitee der kommunistischen Partei Boliviens hat unter anderem zur Folge, dass Ches Mittelsmänner in den Städten nur Leute als Mitkämpfer in der Guerilla gewinnen, die alles andere als eine avantgardistische Elite darstellen. Inti Peredo schreibt dazu in seinem Tagebuch:
»Viele Leute kommen zur Guerilla mit äußerst geringen ideologischen Vorbereitungen; sie haben sich von den Berichten über Heldentaten und großartige Ereignisse beeinflussen lassen, oder sie melden sich aufgrund einer Art von politisch-militärischer Intuition. Dann pflegt in ihnen ein Prozess von falscher Idealisierung des Kampfes und des Guerillalebens einzusetzen, ein Phänomen, das gerade bei Studenten besonders ausgeprägt ist.
Diese Leute haben die irrige Vorstellung, dass der Guerillero in seinem Lager bequem eingerichtet ist, in einer Hängematte schläft und wenig isst. Von dort aus, so meinen sie, plane er seine Schlacht, stelle er sich der Armee, sammle er Tote und Verwundete ein und kehre ins Lager zurück, um neue Kräfte zu schöpfen.
Wenn diese Männer dann bei uns mit der Wirklichkeit konfrontiert werden, erleben sie einen heftigen Schock. So hatten sie sich das alles nicht vorgestellt. Das außerordentlich harte Leben, die ewige ›Góndola‹, Bauarbeiten, die schwere Last des Rucksacks, die einem manchmal die Beine beugt, der Hunger, der sich oft wie ein scharfes Messer in den Magen bohrt, die langen Märsche durch schwieriges Gelände und die ständige Gefahr, in einen Hinterhalt zu geraten, beeinflussen den Geist dieser ideologisch schwachen Menschen.«
Am letzten Tag des Jahres 1966 findet in Ñancahuazú eine entscheidende Begegnung statt. Coco Peredo hat den inzwischen nach Bolivien zurückgekehrten Ersten Parteisekretär der KP, Mario Monje, mit einem Jeep in La Paz abgeholt. Jetzt muss sich endgültig klären, welchen Standpunkt die Führung der Kommunistischen Partei Boliviens bezieht. Guevara verlangt - und er folgt damit dem theoretischen Rezept Debrays - die militärische Führung auch dann, wenn das Zentralkomitee offiziell die Guerilla unterstützen würde. Er ist bereit, dass Monje in diesem Fall als oberster politischer Führer auftritt, wobei er davon ausgeht, dass sich die politische Führung der militärischen unterordnen müsse.
Mit anderen Worten: Che denkt nicht daran, sich in das Konzept der Guerilla hineinreden zu lassen.
Monje ist ziemlich verstört. Es gibt einige Männer im Lager, Bolivianer, militante Sozialrevolutionäre, die trotz anders lautender Richtlinien des Zentralkomitees, zu den Guerillas gestoßen sind. Er weiß, diese Männer sind gute Leute. Wenn sie im Lager bleiben, wird die Partei sie fallen lassen. Ohne die Unterstützung der Partei aber haben die Aktionen der Guerillas kaum eine Chance auf Erfolg. Soll er tatenlos Zusehen, wie diese Männer, Genossen, mit denen er seit Jahren befreundet ist, in ihr sicheres Verderben laufen?
Che ist fair genug, Monje die Gelegenheit zu geben, mit allen Bolivianern noch einmal zu sprechen. Als er sie fragt, ob sie bleiben wollen, auch wenn die Partei die Guerillas nicht unterstützt, geben sie ihm ihre Antwort dadurch zu verstehen, dass sie ihn regungslos anstarren. In das Schweigen hinein fragt er scharf: »Nun sagt schon... bleibt ihr hier oder nicht?«
»Wir bleiben«, antworten sie.
Che hat vor allem Monjes schwankende Haltung missfallen: Mal scheint der Erste Sekretär an die Parteilinie, dann wieder an die Verpflichtung zur Loyalität
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