Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Partner, der mir meinen Kinderwunsch erfüllen würde. Als ich Stockhausen Anfang 1971 auf eine Konzerttournee in die USA begleitete, begegnete mir in New York ein junger Mann, der mich auf Anhieb faszinierte. Philipp stammte aus Deutschland, war Harvard-Doktorand in Cambridge, Massachusetts, und wirkte auf mich geradezu charismatisch. Er war zu Stockhausens Konzert gekommen, bewunderte dessen Musik und hatte danach noch mit uns und den anderen Musikern ein Restaurant besucht. Auch Karlheinz war Philipps Ausstrahlung aufgefallen, er nannte ihn den »schönen Schmetterling« und gestand mir später, er habe zum ersten Mal gespürt, dass der andere ein Konkurrent sein könnte. Er hatte bisher ja auch nie Grund für Eifersucht gehabt. Es sei für ihn ein neues Gefühl gewesen.
Vielleicht erklärt das auch seine seltsame Beteuerung der Treue an einem der Konzertabende auf dieser Tournee. Nach dem Ende standen im Green Room, dem Dirigentenzim mer, zahlreiche schöne, junge Autogrammjägerinnen vor ihm Schlange. Er, noch verschwitzt vom Dirigieren, glühte und leuchtete vom Rausch der Musik, den er gerade entfesselt hatte. Ich beobachtete ihn aus einer Seitentür, er suchte mich mit den Augen und rief mir, auf die Frauen deutend, zu: »Siehst du, Mariechen, wie treu ich dir bin, die könnte ich alle haben.« Ich lächelte. Offenbar hatte er es nicht für möglich gehalten, dass jemand im Saal seine Worte verstand, doch es folgte Gelächter, eine Deutsch sprechende Frau hatte übersetzt, was er gesagt hatte. Eine ältere, sehr elegante Zuhörerin verließ empört die Schlange der Wartenden, ich habe ihren strafenden Blick zu mir herüber nie vergessen.
Die USA -Tournee war zu Ende, wir flogen zurück nach Europa. Eine neue Konzertreise nach Südafrika, die im Frühjahr 1971 folgte, lenkte mich dann auch wieder ab von meinem unerfüllten Wunsch nach einem dritten Kind und den Gedanken an den schönen Philipp. Zunächst ging es nach Johannesburg, später nach Kapstadt. Als Gäste des Goethe-Instituts bekamen wir wie schon so oft zu unseren Ausflügen Führer und Übersetzer zur Seite gestellt, so auch bei unserem Besuch der Goldminen in der Nähe von Johannesburg.
Nach langer Fahrt mit dem Jeep durch wüste Landschaft kamen wir in dem Abbaugebiet an. Das Gold wurde im Un tertagebau gewonnen, man zeigte uns die Einfuhrschächte. Ringsum waren Hütten aus Beton errichtet worden, in denen jeweils zwanzig Arbeiter auf Pritschen Platz finden mussten. Die Minenarbeiter kamen immer für sechs Monate hierher, danach schickte man sie zurück in ihre Dörfer, und neue Männer kamen. Ein längerer Aufenthalt habe schädliche Auswirkungen auf die jungen Männer, erklärte man uns. Ohne den Zusammenhalt ihres Clans, ohne den Rat der Ältesten, ohne die Regeln ihrer dörflichen Gemeinschaft, die durch jahrhundertelange Tradition weitergegebenen Vorschriften und Tabus verwahrlosten sie in den Minen. Sie trieben allerlei Unwesen und übten schwarzmagische Rituale. So hatten sie sich beispielsweise einen makabren Spaß daraus gemacht, beim Ausgang in die umliegenden Städte Passanten im Vorbeigehen unbemerkt Fahrradspeichen in den Körper zu spießen.
Um den Exzessen Einhalt zu gebieten, hatte man den arbeitsfreien Sonntag – Südafrika ist ja größtenteils christlich geprägt, der Sonntag also zu heiligen – zum Musiktag erklärt. Die Arbeiter konnten sich beim Trommeln, Xylophonspielen und Tanzen wieder mit ihrem Erbe verbinden. Das erwies sich als wohltuend für sie und zugleich als Attraktion für weiße Besucher. Es galt als Kulturprogramm, sonntags in die Minen zum Konzert der Schwarzen zu fahren. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Die jungen Männer trommelten und tanzten bis zur Ekstase. Einer übernahm die Rolle des Leiters, er gab die Einsätze, verwies den einen oder anderen mit Gesten, und alle tanzten sich gleichzeitig in Trance. Der »Dirigent« vergoss Ströme von Schweiß, die er mit der Hand immer wieder von Stirn und Augen strich. Nach einem rasanten Höhepunkt pendelten sich alle erschöpft auf sanftere Rhythmen ein. Ich fühlte mich dem Ganzen so verbunden, dass ich spontan zu dem Vormann eilte und ihm mit meinem langen schwarzen Seidenschal den Schweiß von der Stirn wischte. Die Menge verfiel in trampeln den Applaus, der einerseits den Musikern galt, andererseits aber auch dieser Szene. Die deutsche Konsulin, die viele unserer Besuche begleitete, klärte mich später darüber auf, dass bei den rituellen
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