Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
gelöst.
Stockhausen wollte seine Familie nicht verlassen. »Aus Verlust kann nichts Gutes entstehen«, so seine Worte. Ihm schwebte eine Dreierbeziehung mit uns beiden Frauen vor. Er war zwar streng katholisch erzogen worden, die Kirche war für ihn die Verwalterin des heiligen Sakraments der Ehe, doch insgeheim bat er wohl Gott um die Erlaubnis zu dieser Erweiterung des Ehebundes. Damals, in jener Nacht in Ambach, verbanden wir drei uns durch einen Treueschwur. Die damit beginnende ménage à trois sollte dann tatsächlich einige Jahre überzeugt gelebt werden und noch weitere Jahre weniger überzeugt.
In den nächsten Tagen verwandelte sich die Gleichgültigkeit, die zwischen Doris und Karlheinz eingekehrt war, von beiden Seiten in ein erneutes warmes Gefühl füreinander. Ja, sie liebten sich noch. Sie hatten diese Liebe für selbstverständlich genommen, hatten sie nicht behütet. Ja, er hatte sie betrogen, schon vorher. Ja, sie hatte es geahnt. Und sie hatte ihn wegen der Kinder vernachlässigt. Aber jetzt sollte alles anders werden.
Wie wir mit den widersprüchlichen Gefühlen umgehen sollten, entschied sich für mich durch einen Traum, in dem Doris Stockhausen meine Mutter war, und ab diesem Moment liebte ich sie wirklich wie eine Mutter. Sie war ja immerhin auch zehn Jahre älter als ich. Heute weiß ich, dass sie meine Schicksalsaufgabe war, an ihr wurde ich zum reifen, mitfühlenden Menschen, so wie ich an Karlheinz Stockhausen zur Frau geworden bin.
In Ambach klopfte jetzt jemand an die Tür. Benno erschien. Wie sich herausstellte, hatte er die Adresse des Ferienhauses auch der Einladung zu dem Konzert entnommen. Doris und Karlheinz versteckten mich im hintersten Zimmer, und dann kam es zur Konfrontation mit dem ungebetenen Besucher. Er beschuldigte Stockhausen: »Sie haben mir meine Frau gestohlen!« Karlheinz entgegnete unbeeindruckt: »Wieso Ihre Frau? Sind Sie verheiratet?«
Ich bekam nichts mit von dem Gespräch. Später erfuhr ich von Doris, dass Karlheinz unsere Beziehung bestritten hatte. Mich beschlich das Gefühl, dass das keine gute Idee war, denn auf einer Lüge kann man doch nichts aufbauen. Doris in ihrer pragmatisch-realistischen Sichtweise fand das Lügen in einem Fall wie diesem nicht weiter schlimm und war im Übrigen jetzt von anderen Sorgen bewegt. Sie spürte Stockhausens neu erwachende Liebe zu ihr und widmete sich ihm auch ihrerseits wieder mehr.
Von außen drohte immer noch Benno. Am nächsten Abend polterte er erneut schimpfend an der Tür. Ich begriff, dass er keinen Frieden geben würde, und beschloss fortzugehen. Am frühen Morgen des nächsten Tages verließ ich das Haus. Ringsum weiße Schneelandschaft. Auf einem leicht geneigten Abhang waren in den Schnee mit Riesenbuchstaben die Worte »Ruhe« und »Frieden« geschrieben. Ich wanderte um das ganze Feld herum auf der Suche nach Spuren. Wer hatte das in den Schnee gezeichnet? Sollte es Benno gewesen sein? Ich konnte aber keinerlei weitere Spuren entdecken, nur meine eigenen.
Ich ging zurück ins Haus, Karlheinz und Doris waren mittlerweile wach, und ich zeigte ihnen die Worte im Schnee. Sie sahen sie auch, also war es keine Einbildung von mir. »Alles mit dir ist Magie.« Aber wo war die Quelle all dieser Magie? Wie konnte sie sich in den Schnee einschreiben? Bis heute ist mir dieser Vorfall unerklärlich. Mich beschäftigte damals vor allem, wie ich dem Auftrag, denn als einen solchen empfand ich ihn, Folge leisten könnte: Ruhe und Frieden!
Nach den Ereignissen in Ambach folgten alles andere als ruhige und friedliche Tage. Nach Köln zurückgekehrt, erlitt ich in meinem Atelier einen Gewaltangriff von Benno, der sich mit einem Zweitschlüssel Zutritt verschafft hatte. Die Attacke war so heftig, dass ich danach benommen und mit Schmerzen im Flur lag. Ich verlor das Kind, das ich tatsächlich in mir getragen hatte. Daraufhin beschloss ich, mein Atelier zu verlassen, und zog zu Doris und Karlheinz. In deren Schutz fühlte ich mich zunächst sicher vor Bennos grauenhafter Drohung: »Ich werde dir Säure ins Gesicht schütten, dann bist du entstellt, und Stockhausen wird dich nicht mehr lieben.«
Im großen Sendesaal des WDR , wo Boulez mit dem Orchester probte, kam es zu einer weiteren Attacke von Benno. Danach wurde ich mit Gehirnerschütterung und einer Gesichts- und Augenverletzung für drei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert. Stockhausen besorgte mir daraufhin mit seinem Jagdschein eine kleine Pistole, die ich nun
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