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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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liebte die Zeiten unseres Getrenntseins, in denen Sehnsucht und erhabene Gefühle aufkamen. Ich war ja von früher Ju gend an daran gewöhnt: In den Fünfzigerjahren hatte man als Mädchen stets enthaltsam zu leben, schwebte dafür aber häufig im Taumel und Dunst unerfüllter Sehnsüchte.
    Und ich merkte nun, dass mich auch das Muttersein verändert hatte. Ich war nicht mehr nur Geliebte. Ich entwickelte einen Mutterinstinkt und fühlte mich auf einmal als Lebensbewahrerin, und dadurch wurde ich vielleicht ein wenig konservativer. Beim Windelnwaschen, Strümpfestricken und Babykleidernähen erkannte ich mich manchmal selbst nicht wieder.
    Ich war also an einem Punkt angelangt, an dem ich Abstand von unserer Beziehung brauchte. Ich entschloss mich, im Dezember mit den Kindern für einige Zeit zu meinem Bruder nach Amerika zu fliegen. Vorher gab ich Karlheinz noch alle Partituren zurück, die er mir jedes Jahr zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt hatte. Er sollte sich nicht aus Sorge um den möglichen Verlust dieser Urschriften an mich gebunden fühlen. So zog ich im Winter 1967 nach Connecticut in ein Haus am Meer, das der Mutter meiner Schwägerin gehörte. Simon war sieben Monate alt, Julika zwei Jahre. Die Stille am winterlichen Meer tat mir und den Kindern gut. Ich konnte viel über uns nachdenken.
    Stockhausen war in dieser Zeit in Mexiko bei Nancy. Dorthin schrieb ich ihm meinen Entschluss, mit den Kindern in Amerika zu bleiben. Da ließ er Nancy sofort allein und kam zu uns. Nach vielem Hin und Her akzeptierte er meinen Vorschlag einer dreimonatigen Probezeit. Er blieb eine Woche bei uns, die sehr harmonisch verlief, kümmerte sich um die Kinder und hatte viele Gespräche mit meinem Bruder Martin. Wir konnten friedlich Abschied voneinander nehmen.
    In diese Zeit fiel bei Stockhausen auch die Entdeckung des Obertonsingens. Er hatte es dem kleinen Simon abgelauscht, der sich abends, nachdem ich ihm vorgesungen hatte, weiter in den Schlaf summte. Karlheinz hörte aus dem Kinderzimmer dieses eigenartige, wie mehrstimmig sich anhörende Singen, ging zu dem Kind und verharrte lauschend an dessen Bettchen. So entstand schließlich die Kompositionsidee für sein Werk Stimmung , das erste veröffentlichte reine Vokalwerk Stockhausens, das im Dezember 1968 in Paris uraufgeführt wurde. Die Sänger hatten Lautfolgen aus zwei Vokalen so zu singen, dass bestimmte Obertöne erzeugt wurden. Er war damit der erste westliche Komponist, der diese Gesangstechnik wieder be nutzte – im Mittelalter war sie von Frauen und Kindern in den Kirchen geübt worden, wurde später aber von der männlichen Gregorianik ganz verdrängt.
    Karlheinz hatte in den folgenden drei Monaten der Probezeit wieder diverse Liebschaften. Und ich bekam alles mit, er brauchte mir gar nichts zu erzählen. Oft rief ich ihn genau in dem Moment an, wenn er mit einer Frau im Bett lag, und er nannte mich wieder eine Hexe. Doch es lag einfach daran, dass ich so verbunden mit ihm war. Ich spürte, was mit ihm vorging. Einmal sollte er mir in einem Brief schreiben: »Stark ist deine Kraft, Räume zu überwinden und mich zu begleiten.« Ich wollte aber nun nicht mehr an seiner Seite sein, wenn er die vielen Geliebten so nötig hatte. Ich merkte, wie ich mir selbst dabei immer fremder geworden war. Im Vorjahr hatte ich plötzlich an mir Charakterzüge festgestellt, die eigentlich zu den anderen Frauen gehörten. Das hatte mich verwirrt – übertrug sich das Nebeneinander mehrerer Menschen auf die eigene Wesensart?
    Als die drei Monate vorüber waren, war Stockhausen sich sicher, dass ich zu ihm heimkehren würde. Doch für mich war die Probezeit anders ausgegangen. Ich wollte nicht mehr zurück nach Kürten und sagte ihm das am Telefon. Da verfiel er in eine tiefe Depression und telegrafierte: »Ich faste, ich bringe mich um.« Wenn ihm Verlust drohte, dann konnte die Verzweiflung ihn tatsächlich zu wahnsinnigen Reaktionen hinreißen. Er wollte mich durch sein Hungern erpressen, ich spürte jedoch, dass er sich nicht wirklich umbringen würde, hatte sogar das Gefühl, das Fasten könnte ganz gut für ihn sein. Wenn er schon nicht durch Vernunft oder durch eine Probezeit zu sich kam, dann sollte er es einmal auf diese Weise versuchen. Mir war klar, dass er sich sonst verausgaben würde: Er würde sich bei Frauen in der ganzen Welt verstreuen, anstatt bei sich zu bleiben.
    Meine Reaktion versetzte ihm einen derartigen Schock, dass er am 6. Mai 1968

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