Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
Vom Netzwerk:
tatsächlich für sieben Tage in einen Hungerstreik trat. In dieser Zeit las er dann das Buch über Sri Aurobindo, das ich ihm weitergereicht hatte, und es traf wohl auch bei ihm einen Nerv. Der Text gab ihm dieselben Einsichten wie ein Jahr zuvor mir. Am Abend des zweiten Fastentages begann er, einen intuitiven Text zu verfassen, an den folgenden Tagen entstanden weitere vierzehn Textkompositionen, die er später Aus den sieben Tagen nannte. Es waren Spielanweisungen für Musiker, bestehend aus meditativen Texten, nicht aus notierten Tönen. Viel hing hier von der Interpretationsfähigkeit der Instrumentalisten ab. Stockhausen arbeitete seine Grenzerfahrungen aus dieser Zeit in die Texte hinein, und er ließ sich von Aurobindo inspirieren, der einen leeren Bewusstseinszustand als Voraussetzung für Intuitionen ansah. Mit diesem spirituellen Führer fühlte er sich verbunden in der Erkenntnis, dass man zuerst altes Land verlassen müsse, um in sich ein neues zu entdecken. So begann mit diesem Zyklus Aus den sieben Tagen musikalisch eine ganz neue Phase seines Komponierens.
    Währenddessen schickte er mir jeden Tag ein Leporello mit Gedichten und poetischen Texten, und ich spürte, dass er sich endlich gefangen hatte. Er komponierte und dachte und fühlte dabei Neues. Wofür er sonst eine Frau als Muse brauchte, das hatte nun ein Buch bewirkt: Besinnung auf das Wesentliche.

13
Küstentage
    Ich war in Connecticut inzwischen in ein eigenes gemietetes Haus am Meer umgezogen. Dorthin lud ich eine befreundete Architektin aus Deutschland ein, mir mit den Kindern zu helfen. Sie war gerade in einer Umstellungsphase und nahm das Angebot mit Freuden an. Die Kinder kannten und mochten sie. Mein Bruder und seine Frau mit ebenfalls zwei Kindern im gleichen Alter lebten nur zehn Autominuten entfernt. So konnte ich Julika und Simon unbesorgt zurücklassen, als ich mich 1968 spontan entschloss, zu Stockhausens vierzigstem Geburtstag am 22. August nach Darmstadt zu reisen. Dort war er erneut als Dozent tätig und hielt seinen Kompositionskurs ab.
    Ich spürte, dass er nach seiner Erfahrung der »sieben Tage« nun wieder ganz er selber war, klarer, gesammelter. Es hatte sich viel getan. Als ich in Darmstadt bei den Kursen ankam – die Studenten saßen im Hintergrund –, ging Karlheinz auf mich zu, lehnte seine Stirn an die meine und sagte: »Lass es uns noch einmal miteinander versuchen.«
    In Darmstadt herrschte zu der Zeit große Aufbruchstimmung, auch politisch. In der Tschechoslowakei war gerade der »Prager Frühling« niedergeschlagen worden, und viele Musiker, wie zum Beipiel der slowakische Komponist Ladislav Kupkovi c ˇ , waren nach Westdeutschland geflüchtet und direkt nach Darmstadt gekommen.
    Von Darmstadt fuhr ich ins Bergische Land, um nach meinem Hausbau zu sehen, denn ich hatte mir inzwischen von dem Geld, das ich in den USA verdiente, in Forsbach, etwa zwanzig Kilometer entfernt von unserem Kürtener Heim, ein eigenes Atelierhaus bauen lassen. Wieder war es der Architekt Erich Schneider-Wessling, der es entworfen hatte. Meine Schwester Suse und mein Schwager Löw überwachten den Bau. Wir wollten dann gemeinsam dort einziehen, die beiden und ich mit meinen Kindern. Suse und Löw sollten sich ein paar Jahre später, fast nebenan jenseits der großen Wiese, ein eigenes Haus bauen. Dass ich so oder so nicht mehr ganztags mit Stockhausen in Kürten wohnen konnte mit all dem Umtrieb, den die Kinder und meine künstlerische Arbeit mit sich brachten, das war mir klargeworden.
    Wir hatten aber schon vor unserer dreimonatigen Probezeit vereinbart, dass Karlheinz den Kindern zuliebe einen Monat mit uns in dem Haus am Meer verbringen würde. So flog er mit mir Anfang September 1968 wieder in die USA . Das Haus lag in Guilford, direkt am Long Island Sound, einer fjordartigen Meeresbucht, die die Insel vom Festland trennt.
    Dieser September sollte eine traumhaft schöne Zeit werden. Der Meeresstreifen des Sound, durch die vorgelagerte große Insel vor zu starkem Wind und hohen Wellen geschützt, war noch warm genug zum Schwimmen. Mit einem Motorbötchen, das ich mir im Tausch gegen Kunst erworben hatte, tuckerten wir oft hinaus, sogar bis zu einer kleinen Insel, oder, wenn das Meer doch stärker bewegt war, über kleine Kanäle in das von Prielen durchzogene Marschland und weiter ins Inland, auch unter niedrigen Brücken hindurch, die nur geduckt zu unterqueren waren. Simon liebte es, dabei auf Papas Schoß am Steuer zu

Weitere Kostenlose Bücher