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Ich haette dich geliebt

Ich haette dich geliebt

Titel: Ich haette dich geliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Haferburg
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sondern an Ermangelung von Ehrgeiz. In den Sechzigern war Wehrdienst auch mehr als out. Manchmal schmücke ich mich mit Jugendsprache, siehst Du.
    Ich musste also fünfmal die Woche in diese Bank am Hauptplatz. Das sind ungefähr dreißig Minuten zu Fuß. Damals gab es keine Bus-Linie A, B oder C. So weit die Füße tragen, war das Motto. Ich bin leicht zufriedenzustellen. Aber weite Wege zu Fuß zurückzulegen, ist nicht meine Sache. Es kommt mir so müßig vor zu gehen. Einen Fuß vor den anderen. Alles dauert so lange. Es ist schwerfällig. Und Not macht erfinderisch.
    An ein Auto war nicht zu denken. Viel Geld war da nicht übrig. Meine Eltern hatten den Krieg erlebt. Übrigens linientreu. Sie waren Mitläufer, auch nachher wieder. Überall sind sie mitgelaufen. Immer da, wo die Rattenfänger sie haben wollten. Wenn Du Dir Deine Großeltern als kleine Stauffenbergs vorgestellt hast, muss ich Dich enttäuschen. Aber naiv bist Du sicher nicht.
    Jedenfalls wollte ich unbedingt ein Fahrrad. Ich hatte die grandiose Idee, ein Fahrrad zu leihen. Heute würde man es wohl leasen. Es gab einen Radverleih in der Stadt. Du weißt es. Er gehörte Deiner Mutter. Sie war eine unglaubliche Frau. Sie hatte einfach überall Fahrräder oder, besser gesagt, Teile von Fahrrädern gesammelt, repariert, angestrichen und vermietet. Das war ein gutes Geschäft damals. Es gab wenig Geld, aber irgendwohin musste man immer. Und die Gegend ist gemacht für Ausflüge mit dem Rad.
    Ich versuche, Dir unser erstes Gespräch wiederzugeben. Es ist von Bedeutung. Denn Du bist später daraus entstanden. Sie saß vor dem Schuppen mit den Rädern und trug ein blaues Wickelkleid. Ihre dicken Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden. Sie schraubte an irgendeinem Rad herum und bemerkte mich nicht gleich.
    Ich räusperte mich:
    „Entschuldigung, ich möchte ein Fahrrad mieten“, sagte ich.
    Sie drehte sich um und ich war geblendet. Fast hätte ich mir meine Hände vor die Augen halten müssen. Sie strahlte wie ein Kraftwerk. Sie leuchtete tatsächlich von Innen. So etwas Schönes hatte ich nie zuvor gesehen. Vom ersten Moment an war ich verschossen. Ja, so was gibt es. Und wie es so was gibt.
    „Ach ja, was für eine Überraschung. Zwei Stunden kosten eine Mark.“
    Deine Mutter schaute mich skeptisch an.
    Ich muss wie ein Tölpel auf sie gewirkt haben, so wie ich plötzlich stammelte.
    „Ich möchte es für länger mieten.“
    „Wie lange denn?“
    Ich glaube, an dieser Stelle fiel mir ihr wunderschöner Mund auf. Geschwungen wie der Mund eines Harlekins.
    „Genau weiß ich es nicht. Erst mal für drei Monate vielleicht. Ich fahre damit zur Arbeit.“
    Deine Mutter lachte laut auf.
    „Zur Arbeit. Wo arbeitet der Herr denn?“ Es klang nicht zynisch aus ihrem Mund, sondern liebevoll scherzend.
    „In der Bank arbeitet der Herr. Bankkaufmann will der Herr werden“, sagte ich.
    „Dann wird die Dame dem nicht im Wege stehen. Was kannst du denn zahlen?“ Sie lachte die ganze Zeit. Du kannst Dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe. Sie konnte einem das Gefühl geben, ein König zu sein. Von einem Land, das verzaubert ist, und in dem nur sie wohnt. Ich wollte der König von Zauberland sein.
    Wir machten einen Preis aus, der mehr als fair war, und ich konnte mir ein Fahrrad aussuchen. Sie erklärte mir die Vorzüge und Nachteile der einzelnen Fahrräder. Ich konnte einfach nur auf ihren Mund starren – und ich wollte, dass da noch ganz viele Worte rauskamen.
    Aber irgendwann muss Schluss sein. Ich nahm mir irgendein Rad und bedankte mich artig. Ich Schlawiner deutete sogar einen Handkuss an. Deine Mutter lachte sich halb schlapp.

    Ein verkannter Poet. Er hatte sich bemüht mit dem Brief. Keine Frage. Den Altersunterschied erwähnte er nicht.
    Ich stand auf und rannte Achten in meinem Zimmer. König von Zauberland? Was sollte das werden? Ein Märchen der Gebrüder Grimm? Ich verspürte einen argen Unmut, der sich hauptsächlich gegen die Art des Erzählens richtete. Sie beinhaltete eine verstörende Leichtigkeit. Aber womit hatte ich gerechnet? Mit einer staatstragenden Entschuldigung für sein Verhalten?
    Mein Bauch knurrte. Diesmal nicht vor Nervosität, sondern vor Hunger. Ich ging essen. Bei Stefan. Mir fiel nichts anderes ein. Vielleicht erhoffte ich mir, mit jemandem reden zu können oder mich abzulenken. Damit ich nicht allein war mit diesem ganzen Wust an Louis Kampen.

    Als Stefan mich sah, lächelte er so, als hätte

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