Ich haette dich geliebt
nirgends gearbeitet. In Kneipen, Bars, Geschäften. Einmal mal hat er versucht, sich selbstständig zu machen. Mit so einer Art Partyservice. Das hat alles nicht so ganz funktioniert. Der Louis war alles, aber kein Geschäftsmann. Umsonst hat er es für alle gemacht oder zu billig. Freundschaftsdienste. Am Ende ging er in Privat-konkurs. Er hat dann eine Zeit lang bei mir gewohnt. Wie in alten Zeiten. Ich hab ihm gesagt, dass er wieder eine geregelte Arbeit braucht. Er hat gestöhnt und gemeckert wie eine Ziege. Er wollte nicht. Und in seinem alten Job hätte ihn sowieso keiner genommen. Welche Bank nimmt einen mit Privatkonkurs? Ich kannte jemanden um drei Ecken, der hat einen Gebrauchtwagenhandel. Und da fing der Louis dann an. Am Anfang hat er geschimpft. Ich glaub, der hatte 'nen Genierer. Er wäre gern ein Lebemann gewesen, verstehst du? Mit Hut in Cafés rumhocken und schlau daherreden. Das war sein Ding. Aber dann ging's ganz gut. Er hatte ein Auskommen und nahm sich die Wohnung im Haus unten in der Kastanienallee.“
Karl schaute gedankenverloren auf sein Bier.
„Und die Bilder? Ich meine, hat er viel mit der Kunst am Hut gehabt?“
„Ich weiß auch nicht. Er hat immer alles angefangen und nix zu Ende gemacht. Erst hat er gemalt, dann irgendein Instrument gelernt, aber nur einen Ton, dann wollte er eine Weltreise machen. Aber fuhr nie los. Der wollte gar nicht weg. Der Sensenmann hat ihm dann sowieso einen Strich durch die Rechnung gemacht. Tja Mädchen, so war das. Feiner Kerl, der Louis. Eigensinnig, das schon. Seine Launen konnten wie Feuer und Wasser sein, aber auch unterhaltsam. Nur einmal ist er mir wirklich an die Gurgel gegangen. Er hat mir ein Bild gezeigt. Von ihm gemalt, Riesengroß mit nichts und wieder nichts darauf, als einem unordentlichem Kreis und ein paar Klecksen. Ich habe ihm meine Meinung gesagt. Das Bild war ein riesengroßer Quatsch. Louis schrie mich an, ich hätte keinen blassen Schimmer und ich sei ein Ar... Du weißt schon. Danach hab ich seine Bilder nicht mehr kritisiert. Waren ja auch nur ein paar und auf denen konnte ich nix erkennen.“
Ich nickte ihm zu. Als Aufforderung weiterzuerzählen. Karl war aber nicht mehr in Fahrt.
„Ich muss jetzt los. Brauch mein Schläfchen. Du musst mir erzählen. Von deiner Mutter. Ein anderes Mal, ja?“
Karl saß gekrümmt auf seinem Stuhl und sah aus, als ob er gleich umkippen würde. Ich ließ mir den vollen Namen von der besagten Heidi aufschreiben. Dann half ich Karl auf die Beine. Er drückte meinen Arm mit seinen kleinen Arbeiter-händen und ging schweren Fußes davon. Wie er so davon wackelte, musste ich fast schmunzeln. Karl erinnerte mich an einen alten Seebären. Wenn er Louis' bester Freund gewesen war, konnte der zumindest nicht ganz so übel gewesen sein.
Nur zur Kontrolle schaute ich auf mein Handy und überlegte, ob ich Stefan eine SMS schreiben sollte. Was Lustiges. Ironisches. Um meine Zickigkeit vom Morgen etwas zu relativieren. Mir fiel nichts ein.
Ich rief Jonas im Sender an. Er wollte wissen, wann ich zurückkommen würde. Die Geschichte mit dem Mädchen nahm ziemliche Ausmaße an. So ziemlich jede Behörde, und auch Ärzte hatten angeblich total versagt. Es wurden Reporter gebraucht. Ich wurde gebraucht. Jonas sagte wortwörtlich, ich wäre so schön ernsthaft in meinen Reportagen. Eine versteckte Beleidigung. Aber er hatte Recht. Besonders spritzig und lustig waren meine Beiträge nicht, und eine lustige SMS konnte ich auch nicht schreiben. So war das. Offensichtlich war ich eine witzlose Person. Früher war das anders gewesen. Ich war freier, fröhlicher. Der Tod meiner Mutter drückte auf meine Seele. Ich fragte mich, wann ich das letzte Mal so richtig gelacht hatte. Mit Kai vielleicht?
Es war schon fast Abend. Ich ging in die Pension und legte mich auf das Polyester-Bett. Karl Molter hatte gesagt, Louis Kampen wäre gern ein Lebemann gewesen. Ein Künstler wahrscheinlich. Da hat man keine Lust auf Familie. Und wenn er wirklich noch so jung gewesen war, sowieso nicht. Ist ja wohl klar. Wollte ich mir diese Erklärungen wirklich anhören? Ich betrachtete den gepolsterten Umschlag. Fingerdick. Er hatte wohl viel mitzuteilen, dieser Mann. Ich öffnete den Umschlag so langsam, es ging. Ich wollte Zeit gewinnen. Dann nahm ich den Packen Papier heraus. Er hatte mit dem Computer geschrieben. Bis auf „Liebe Clara“. Das hatte er freundlicherweise handschriftlich gemacht.
Liebe Clara,
wenn Du diesen Brief
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