Ich, Heinrich VIII.
nicht mehr fremdartig, sondern eher wie ein Teil meiner selbst. Ein König musste hart sein – manchmal.
»Ja, das weichherzige Knäblein, das du kanntest, gibt es nicht mehr. An seiner Stelle steht ein König«, antwortete ich. »Ein Knabe sieht nur, was er will, und hofft, dass seine Wünsche Wahrheit werden. Ein König aber sieht, was ist und wie er das Beste daraus macht.«
»Und für dich ist es das Beste, wenn deine Schwester Königin von Frankreich wird.«
»Auch für dich ist es das Beste. Du wirst sehen. Überdies« – sprudelte es aus mir hervor –, »er kann nicht mehr lange leben. Eine kleine Investition wird dir später großen Ertrag einbringen. Du bist jung. Du hast Jahrzehnte, die Juwelen und die Titel zu genießen, ohne dass Ludwigs verhasste Gegenwart dich dabei störte.«
Sie zeigte Abscheu, keine Freude. »Dass ich dich so sprechen höre, ist mir ein größerer Verlust, als Ludwig meine Jungfräulichkeit opfern zu müssen. Du bist Heinrich nicht mehr.«
»Oh, ihn gibt es noch.« Sprich leichthin, und wage dich nicht mit ihr auf dieses dünne Eis. Die Ehe mit Frankreich muss unter Dach und Fach.
»Ja, und er wird hervorgeholt, wann immer sein Charme benötigt wird. Denn der junge Heinrich, mein Bruder Heinrich, ist ein gewinnender Mann. Was hat dich nur so werden lassen? War es Wolsey? Berechnende, ehrgeizige Priester …«
Immer wollte jeder Wolsey für alles verantwortlich machen. Er war ein nützlicher Sündenbock. Aber der »charmante« Heinrich war immer noch gut zu gebrauchen, um den »neuen« Heinrich und sein Tun zu tarnen.
Ich seufzte. »Wolsey tut nichts aus eigenem Antrieb«, sagte ich ehrlich. »Er hat keine Macht, die ich ihm nicht gewähre. Er ist ganz und gar meine Kreatur.«
»Woher kommt dann dieser fremde Heinrich? Dieser Heinrich, der sich mit weltlichen Höflingen bei Spiel und Mummenschanz und auf der Jagd vergnügt, der wüste Verse schreibt und die Gemächer der Königin wie auch die Gelehrten meidet, mit denen er einst Verkehr pflegte?«
»Mein kleines Nönnchen«, spottete ich. »Ich bin ein Mann, und ich genieße, was auch andere Männer genießen.« Immerhin musste der Tag erst noch kommen, da ich mich in einem anderen Bett als dem der Königin wiederfände. Eine verbreitete Bezeichnung für den Ehebruch war »Seitensprung«. Nun, große Sprünge hatte ich wahrlich noch nicht gemacht. »Und was meine ›weltlichen Höflinge‹ angeht, so stellte ich fest, dass du gern mit dem Herzog von Suffolk tanzt.«
»Das tun alle Frauen«, versetzte sie.
»Aye. Er ist ein Frauenheld; er weiß ihnen zu gefallen. Mit dreien war er schon mehr oder weniger verheiratet und ist doch immer noch Junggeselle. Ein hübscher Trick.« Ich beneidete ihn.
Maria zuckte mit den Achseln. »Soll ich auch weltlich werden. Deinem Beispiel folgen?«
»Von mir aus, und lieber früher als später. Solange du deine Schönheit noch hast und damit einen vernünftigen Handel schließen kannst – anders als deine Schwester.«
Die arme Margaret, einst schottische Königin und jetzt ein grobes Weib mit fallendem Marktwert, lechzend nach einem Mann. Kaum hatte sie James IV . posthum seinen Sohn geboren, hatte sie sich den großspurigen Archibald Douglas, den Grafen von Angus, zum Liebhaber gemacht.
Maria richtete sich auf, schlank und golden. Eine wertvolle Figur auf meinem Schachbrett. »Ich werde König Ludwig heiraten«, erklärte sie, und dabei sprach sie jedes Wort so sorgsam aus, als wähle sie es von einem Tablett unter vielen anderen aus. »Ich werde eine große Anzahl von Damen mitnehmen, aus denen mein Hofstaat bestehen soll. Und wenn Ludwig stirbt, werde ich die Juwelen behalten, die er mir geschenkt hat.« Sie schwieg einen Augenblick lang. »Von dir aber verlange ich eines.«
»Sprich.« Natürlich würde ich ihr alles bewilligen, ich würde ihr zur Hochzeit schenken, was sie wollte. Ich würde sogar mein neues Flaggschiff auf ihren Namen taufen, statt auf den meinen.
»Wenn Ludwig stirbt, wird es mir freistehen, zu heiraten, wen ich will. Du darfst mich dies eine Mal vermählen. Danach vermähle ich mich selbst.«
Nein. Sie war zu wertvoll für mich und für England. »Nein.«
»Dann heirate ich Ludwig nicht. Dann gehe ich lieber in ein Kloster.«
»Das würdest du tun, statt dich zu fügen?« Sie war eine Tudor – stur und rücksichtslos. »Ich würde niemals zulassen, dass du dir dies antust. Also gut, ich will dir deinen Wunsch gewähren.« Wenn sie erst Witwe wäre,
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