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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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theoretisch.
    Wolsey erhob sich hinter seinem Pult und kam auf mich zu. Er wurde allmählich füllig – eine Folge der offiziellen Bankette und Zerstreuungen, an denen er jetzt häufig teilzunehmen hatte. »Ihr denkt doch gewiss nicht an – Euch? Ihr könnt Euch nicht von der Königin scheiden lassen, weil ihr Vater Euch betrogen hat. Auch wenn Ihr, weiß Gott, gewiss eine französische Prinzessin an Eurem Arm und an Eurem Hof verdient habt.«
    Dieser Ausbruch von Offenheit schockierte mich ebenso wie ihn mein Vorschlag, eine Wende zu vollziehen.
    »Aber Wolsey – Ihr mögt die Königin nicht?«
    Er zerfloss in Erklärungen. »Doch, Euer Gnaden, ich schätze und bewundere sie; ich wollte nur sagen … dass ein anmutiges französisches Mädchen eine Zierde für den Hof, ein Juwel an Eurem Arm wäre. Eines, das tanzt und an den Maskeraden teilnimmt, eines, das …«
    »Ja. Ich verstehe schon.« Katharina war im Lauf des vergangenen Jahres um so viel ernsthafter geworden. Gleichwohl, Wolsey konnte ja nicht wissen, dass es da noch eine verborgene maurische Seite gab … »Frankreich mit seiner kuriosen Kombination aus Eleganz und Dekadenz … das würde ich gern in einer Frau erproben.« Ich hatte noch nie eine Frau außer Katharina erprobt. »Aber ich bin verheiratet, und eine Scheidung kommt für mich nicht infrage. Ihr habt ja Recht: Ferdinands Verrat überträgt sich nicht auf seine Tochter. Ihr ›Verrat‹ besteht nur darin, dass sie versäumt hat, dem biblischen Gebot zu folgen und Mutter und Vater zu verlassen. Ihr Herz ist noch in Spanien. Aber ihr Körper ist hier und war treu.«
    »Überdies bekommt sie ein Kind.«
    »Ja.« Aber selbst das erschien mir mit Makel behaftet.
    »Indessen gibt es andere Wege, sich Frankreich zu nähern.« Er führte mich zurück zu diesem Thema. Er wirkte eifrig, und seine Augen glänzten.
    »Die gibt es in der Tat. Und andere Ehen. Meine Schwester Maria – und der König von Frankreich!«
    Ein Ruck ging durch seinen ganzen Körper und war noch in seinem Gesicht erkennbar. »Euer Gnaden!« Er leckte sich die Lippen. »Ein genialer Einfall!«
    »Er ist mir eben gekommen, in diesem Augenblick. Gott hat ihn mir gesandt.« Das glaubte ich wirklich.
    »Wir werden Marias Verlobung mit Karl von Burgund auflösen«, erklärte er.
    Sie würde entzückt sein. Der Gedanke an die Heirat mit dem vier Jahre jüngeren Habsburger Knaben, Katharinas Neffen, war ihr verhasst gewesen. Dann aber hatte sie sich doch dafür begeistert, und nun schleppte sie sein Bildnis mit sich herum und versuchte, es unter Seufzern zu betrachten. Mit Freuden würde sie diese Bemühungen beenden und Königin von Frankreich werden.

    »Königin von Frankreich? Indem ich einen verrottenden Wüstling mit falschen Zähnen heirate? Nein, nein, nein!« Sie trat mit dem Fuß nach dem Geschenk Seiner Hoheit: Einer Venus-Statue, über deren Schulter Amor schwebte. »Nein!« Die Statue kippte um, und dem Marmor-Amor brach die Nase ab.
    »Meine liebe Schwester«, erläuterte ich, »er ist immerhin ein König.«
    »Er ist widerlich.«
    »Königin von Frankreich! Denke darüber nach, meine Liebe, denke gut darüber nach. In Liedern und Versen wird man dich feiern, und du wirst die erste Dame von ganz Europa sein. Du wirst tun können, was dir gefällt, wirst köstliche Kleider tragen, mit Juwelen überhäuft werden.«
    »Und in der Nacht?« Ihre Augen wurden schmal. »In der Nacht bezahle ich den Preis dafür.«
    »Was bedeutet schon eine Viertelstunde der Plackerei gegen zwölf Stunden voller Macht und Luxus?« Ich nahm mir eine Kirsche aus einer gefüllten Silberschale. Bei Gott, wenn es sich mit leichter Hand nicht machen ließe, dann würde ich mich gezwungen sehen, gegen meine liebste Schwester Gewalt anzuwenden.
    »Wann bist du so hart geworden?«, erkundigte sie sich leise. »Das ist nicht mein Bruder, der da spricht, nicht der Heinrich, den ich kenne, sondern ein anderer Mann.«
    Damit berührte sie einen wunden Punkt. In letzter Zeit spürte ich, wie diese Härte in mir wuchs, wie sie Form annahm und in mir aufstieg wie ein Felsen, der aus einem See heraufstieg und das süße, stille Wasser ringsumher verdrängte. Das erste Mal war es geschehen, als mir das Wort »Scheidung« ungebeten über die Lippen geschlüpft war, als ich mich, wenn auch nur für kurze Zeit, gegen Katharina gewandt hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass ich ein so fremdartiges Wesen in meinem Herzen verbarg; inzwischen jedoch erschien es mir gar

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