Ich, Heinrich VIII.
abgesagten Besuch im letzten Sommer, und nun dies. Sag mir, was sind seine jüngsten Anweisungen an dich? Was sollst du weiter tun, meine süße Spionin? Denn Anweisungen schickt er dir, das weiß ich. Ich weiß, hier ist ein Brief, irgendwo …« Ich stürmte aus der winzigen Kapelle hinüber in ihr Arbeitszimmer, wo ihr Pult und einige verschlossene Kästen standen. »Ja, er ist hier.« Ich untersuchte das kleine runde Holzkästchen, das mir am nächsten bei der Hand war; natürlich war es verschlossen. Ich zerschlug es, aber darin fand ich nur Tinten und Petschafte.
»Aber freilich, hier würdest du ihn nie verwahren. Er ist versteckt. Nein, nicht einmal das. Du bist zu schlau. Du hast ihn auswendig gelernt und dann vernichtet. Es ist alles hier drin.« Ich nahm ihren Schädel zwischen beide Hände. »Wenn ich ihn auch zerbreche, wird der Brief dann herausspringen?« Ich drückte kräftig zu.
»Ihr benehmt Euch wie ein Wahnsinniger«, stellte sie in kraftvollem, unerschrockenem Ton fest. Mut – sie hatte diesen spanischen Mut. »Wie ein Wahnsinniger, nicht wie ein König.«
»Welches sind deine Anweisungen?« Es war die Parodie eines Flüsterns, mit der ich ihr diese Frage beharrlich noch einmal stellte, dicht an ihrem Ohr. »Ich will es wissen.« Ich drehte ihr Gesicht zu mir herum. »Solltest du mir noch mehr Geld abschmeicheln, für eines der Anliegen deines Vaters? Solltest du mich allein in den Krieg schicken, um England zu schwächen, damit andere uns vereinnahmen können? Eine reife Frucht, die dem nächstbesten in den Schoß fällt … dazu würde er uns gern machen, nicht wahr?«
»Es gibt keine solchen Anweisungen, und meine ganze Loyalität gehört niemandem außer Euch. Wenn Ferdinand Euch betrogen hat, so hat er auch mich betrogen. Fortan entsage ich ihm.« Ihre Stimme war von Trauer erfüllt. Sehr überzeugend. »Es schmerzt mich, dass mein Vater so wenig für mich empfindet, dass er so mit meinem Gemahl verfährt.«
Vater! Sie trauerte seinetwegen, nicht um mich.
»Nun, du hast ihn verloren! Hast du verstanden? Schwöre mir bei diesem Kreuz« – mit einem Schritt war ich im Nachbargemach und riss es dem bangen Priester vom Halse-, »dass du dich von ihm lossagst. Ohne Vorbehalte, ohne Bedingungen. Sonst werde ich mich von dir scheiden lassen!«
Ungläubig sah sie mich an.
»Jawohl, ich lasse mich scheiden! Entweder bist du mein Weib und loyal nur gegen mich, oder du bist seine Tochter. Was er getan hat, erweist, dass du nicht beides sein und zugleich deine Ehre behalten kannst. Schwöre!«
Sie umklammerte das Kreuz. »Ich schwöre, dass ich meinem obersten Herrn und König ein loyales und getreues Weib bin und immer sein werde.«
»Das ist nur die Hälfte! Sage dich von ihm los!«
Sie umfasste das Kreuz so heftig, dass ihre Fingerknöchel aussahen wie tönerne Murmeln. »Ich – sage mich los – von meinem leiblichen Vater, Ferdinand.« Mit jedem Wort schien sie zusammenzuschrumpfen.
»So. Nun ist es geschehen. Und wenn du einen falschen Schwur getan« – ich nahm ihr das Kreuz aus der schlaffen, schweißfeuchten Hand –, »dann hast du dich selbst verdammt.«
»Ihr wisst … dass es keine Scheidung gibt.« Ihre Stimme klang dünn.
»O doch, die gibt es.«
»Annullierung, ja. Aber die Scheidung hat Unser Herr verboten.«
»Im idealen Sinne, ja. Er hat auch gesagt: ›Seid vollkommen.‹ Bring mir einen Sohn, und es wird keine Scheidung geben.« Dann fiel mir noch etwas ein. »Ich halte es für das Beste, wenn du alles durchtrennst, was dir an Verbindungen zu deinem früheren Leben geblieben ist. Es wird keinen ›Philipp Karl‹ in der Familie der Tudors geben. Ich werde einen guten englischen Namen auswählen.«
Ich wandte mich ab und ließ sie in ihrem Arbeitszimmer stehen, und die Tränen strömten ihr über das Gesicht. Aber statt einer hilflosen, verängstigten Frau sah ich nur ein Werkzeug des bösen Ferdinand, eine Natter, die ich an meinem Busen genährt, gekrönt und in meinem eigenen Hause gehegt hatte.
In diesem Zustand blieb ich fast den ganzen Abend lang. Die Zeit der Vesper, da ich Katharina zur Andacht aufzusuchen pflegte, kam und ging. Ich wusste, sie würde auf mich warten. Aber ich brachte es nicht über mich, zu ihr zu gehen. Ich erwartete, dass sie mir eine Botschaft senden werde. Aber das tat sie nicht. Gut. Der bloße Anblick ihrer Handschrift hätte meine Wut neuerlich entflammt, denn ich hätte mir sogleich vorgestellt, wie diese Schrift ihre
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