Ich, Heinrich VIII.
vorhergesehen hatte.
»Ja«, sagte ich und gab meinem Pferd die Sporen, ohne mich umzusehen, und zusammen sprengten wir in wildem Galopp zum Schloss hinunter. Margaret quiekte und lachte so laut, dass sie alles Rufen hinter uns übertönte.
Als wir das Schlosstor erreichten, waren die anderen noch eine ganze Meile weit hinter uns. Von dem schnellen Ritt zu sehr in Anspruch genommen, hatten wir gar nicht bemerkt, dass die Rufe nicht nur von unserer Reisegruppe, sondern auch vom Schloss kamen. Jetzt aber, als wir vor dem Tor Halt machten, vernahmen wir das erregte Geschrei einer großen Menschenmenge, und dann plötzlich war es still. Und niemand kam, das Tor für uns zu öffnen.
Margaret zog ein Gesicht, stieg ab und band ihr Pferd an. »Dann müssen wir eben selbst einen Weg hinein finden«, erklärte sie und wandte sich einem kleinen Dienstboteneingang zu. Verstimmt stieg ich gleichfalls vom Pferd und folgte ihr. Sie lehnte sich mit der Schulter an die alte Pforte und stemmte sich dagegen, doch nichts rührte sich. Sie beäugte das Holz und machte sich daran, die Tür zu überklettern. Plötzlich wurde sie geöffnet, und Margaret stürzte zu Boden.
Ein zornig aussehender junger Mann stand da und funkelte sie an. »Und wer bist du?«, fragte er. Er war riesengroß; zumindest kam es mir so vor.
»Ich bin Prinzessin Margaret«, antwortete sie steif und raffte sich auf; sie war der Länge nach in den Schlamm gefallen, und der Rock war ihr über den Hintern hochgerutscht.
Er machte ein ungläubiges Gesicht.
»Und ich bin Prinz Heinrich«, fügte ich hinzu, in der Hoffnung, ihn zu überzeugen, dass wir zusammengehörten und wahrhaftig seien, wer wir zu sein behaupteten. Er kam zur Pforte heraus und entdeckte jetzt den nahenden Rest unserer Gruppe. Einigermaßen überrascht sah er unsere Behauptung bestätigt.
»Also gut«, befand er. »Dann bring ich euch jetzt zum König.«
Margaret hastete ihm nach, aber ich blieb stehen, wo ich war. »Und wer bist du?«, fragte ich.
Er drehte sich um. Ich erwartete, dass er wütend sein werde, aber er zeigte sich belustigt. »Ich bin Charles Brandon«, antwortete er, als müsste ich ihn kennen. »Zu Euren Diensten, mein Prinz.« Grinsend verneigte er sich; dieser große Knaben-Mann, damals doppelt so alt wie ich, unterwarf sich mir. Für mein unschuldiges Ich war dies damals keine abgenutzte Hofphrase, sondern ein persönliches Dienstgelübde, ein Band zwischen ihm und mir. Ich streckte die Hand aus, und er nahm sie.
Es war ein Händedruck, der unser Leben lang Bestand haben sollte.
Er drängte sich durch die Menge, die dicht an dicht stand. Alle reckten die Hälse, um etwas zu sehen, das uns zunächst verborgen war. Dann aber sahen auch wir es: vier Mastiffs, die an Stricken in die Höhe gezogen wurden. Sie wurden gehängt! Sie tanzten und zuckten in ihren Schlingen, sie winselten und würgten dann, wanden sich und krallten in hilfloser Raserei mit den Pfoten nach den Stricken. Kurz darauf baumelten sie schlaff herunter, und die Zungen hingen ihnen aus den Schnauzen. Sie drehten sich langsam, und niemand unternahm Anstalten, sie abzuschneiden.
Dann sah ich, weshalb. Der König erschien. Er trat vor die Hunde und hob die Hände, Schweigen gebietend. Er trug einen grauen, mit altem Pelz besetzten Mantel, und seine Stimme klang hoch und dünn.
»So seht ihr: Verräterische Hunde dürfen sich nicht gegen einen König erheben.« Bei jedem Wort formte sein Atem eine sichtbare Wolke in der kalten, unbewegten Luft.
Er trat zurück und betrachtete die Hunde, und dann wandte er sich zum Gehen. Da schob sich jemand an seine Seite und flüsterte ihm etwas zu. »Ah!«, sagte er. »Meine Kinder kommen. Wir müssen sie begrüßen.« Er machte eine Gebärde, und die Menge wandte sich gehorsam dem Haupttor zu.
Margaret und Brandon und ich blieben stehen. Das Gedränge löste sich auf, und wir sahen, was unter den Hunden auf der Erde lag: der Leichnam eines Löwen. Er war verstümmelt und blutig.
»Was ist das?«, rief Margaret. »Wieso ist der Löwe tot? Warum hat man die Hunde gehängt?« Sie schien nur Neugier, keine Übelkeit zu verspüren. Ich selbst empfand großen Abscheu.
»Der König hat die Hunde auf den Löwen gehetzt. Er wollte damit vorführen, wie der König der Tiere alle Feinde vernichten kann. Nun, die Hunde behielten die Oberhand. Sie töteten den Löwen. Da musste der König die Hunde als Verräter bestrafen lassen. Nur so konnte er seine Lektion aufrechterhalten.«
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