Ich, Heinrich VIII.
Brandon wählte seine Worte mit Umsicht, aber sein Tonfall verriet mir, dass er den König nicht mochte. Gleich gefiel er mir noch besser.
»Aber der König …«, begann ich vorsichtig.
»Ist sehr besorgt um seinen Thron«, erwiderte Brandon unvorsichtig. »Er hat soeben Kunde von einem neuen Aufstand erhalten. In Cornwall diesmal.« Er schaute sich um, ob auch niemand zuhörte. »Es ist das dritte Mal …« Er ließ den Satz unvollendet. Vielleicht ahnte er auch, dass Margaret ihn mit einem Schwall von Fragen überschütten würde.
Aber sie hatte den Kopf der Menschenmenge zugewandt, deren Lärmen jetzt Arthurs Ankunft im Schloss begleitete. Die Torflügel schwenkten auf, und Arthur ritt herein, an seinen Sattel geklammert. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, als er die eifrigen Gesichter der vielen Menschen erblickte. Wie auf ein Stichwort erhob sich ein machtvoller Ruf. Der König trat vor und umarmte Arthur; fast hätte er ihn vom Pferd gezogen. Für einen Augenblick umschlangen sie einander; dann wandte sich der König den Leuten zu.
»Jetzt wird mein Fest erst wirklich beginnen«, verkündete er. »Jetzt, da mein Sohn hier ist! Mein Erbe!«, ergänzte er viel sagend.
Er merkte gar nicht, dass Margaret und ich schon da waren. Ein paar Minuten später gelang es uns, unbemerkt in den Schutz unserer Gruppe zurückzuschlüpfen, und wir hatten nichts Schlimmeres zu erdulden als ein Zungenschnalzen von unserer Kinderschwester, Anne Luke.
Als wir den Hof durchquerten, sah ich, wie der tote Löwe fortgeschleift wurde.
Man wies uns unser Quartier zu, und die Bediensteten unseres Haushalts machten sich daran, die Möbel, die wir mitgebracht hatten, auszupacken und zusammenzusetzen. Bald wurden silberne Krüge mit warmem Wasser herbeigebracht, damit wir uns waschen konnten. Die Festlichkeiten sollten an diesem Abend mit einem Bankett in der großen Halle beginnen.
Dann teilte Schwester Luke uns mit, dass Maria und ich nicht dabei sein durften.
Dass Maria im Kindergemach bleiben musste, sah ich ein – sie war erst zwei! Aber ich war sieben; mir musste man doch erlauben, zu kommen. Das ganze Jahr über hatte ich angenommen, wenn die Weihnachtsfeierlichkeiten begännen, würde ich daran teilnehmen. War ich an meinem Geburtstag im letzten Sommer etwa nicht in ein vernünftiges Alter gekommen?
Die Enttäuschung war so niederschmetternd, dass ich anfing, zu heulen und meine Kleider auf den Boden zu werfen. Es war das erste Mal, dass ich einen offenen Wutanfall bekam, und jedermann blieb stehen und starrte mich an. Gut so! Jetzt würden sie schon sehen, dass ich jemand war, von dem sie Notiz zu nehmen hatten!
Anne Luke kam herbeigeeilt. »Lord Heinrich! Hört auf! Diese Vorstellung« – sie musste sich ducken, denn ich schleuderte nun blindlings einen Schuh durch den Raum – »passt überhaupt nicht zu Euch!« Sie versuchte, meine Arme festzuhalten, aber ich drosch auf sie ein. »So etwas ist eines Prinzen unwürdig!«
Dies hatte die gewünschte Wirkung. Ich hielt inne und blieb stehen, atemlos, aber immer noch erbost. »Ich will zum Bankett gehen«, erklärte ich kalt. »Ich bin alt genug, und ich finde es unfreundlich vom König, mich dieses Jahr nicht dabei sein zu lassen.«
»Ein Prinz, der alt genug ist, um an förmlichen Banketten teilzunehmen, wirft nicht seine Kleider auf den Boden und kreischt nicht wie ein Affe.« Als sie sicher war, mich wieder unter Kontrolle zu haben, erhob sie sich schwerfällig von den Knien.
Jetzt wusste ich, was ich zu tun hatte. »Schwester Luke, bitte«, sagte ich zuckersüß. »Ich möchte so gern hingehen. Ich habe das ganze Jahr darauf gewartet. Voriges Jahr hat er’s mir versprochen« – das war frei erfunden, aber vielleicht half es ja –, »und jetzt lässt er mich wieder im Kindergemach warten.«
»Vielleicht hat Seine Majestät ja vernommen, was Ihr und Margaret heute Nachmittag getan habt«, sagte sie düster. »Einfach vorauszureiten.«
»Aber Margaret darf doch auch zum Bankett«, gab ich scharfsinnig zu bedenken.
Sie seufzte. »Ach, Heinrich. Ihr seid mir einer.« Sie sah mich an und lächelte, und ich wusste, ich würde meinen Willen bekommen. »Ich werde mit dem Lord Kämmerer sprechen und ihn fragen, ob Seine Majestät es sich nicht überlegen will.«
Glücklich begann ich meine verstreuten Kleider einzusammeln und überlegte mir schon, was ich anziehen würde. So also machte man das: erst ein Tobsuchtsanfall, und dann lächelnde Huld. Es war eine
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